Und wieder arbeiten sich diverse Leitkulturen an unerwünschten Parallelgesellschaften ab. Aus dem Vatikan ereilt uns die originelle Nachricht, es spiele sehr wohl eine Rolle, mit wem ein Priester keinen Sex hat: keine Homos, bitte. Nebenbei das bekannte Credo: Wenn homophil Ungeordnete schon nutzloserweise diesen Planeten mitbevölkern müssen, dann bitte niemals, niemals miteinander fummeln. Wenn doch, dann zumindest nicht drüber reden oder gar – Alarmstufe drei! – auch noch dazu stehen. Kritik aus heterosexuellem Munde an dieser Unverschämtheit konnte ich bisher leider nirgendwo vernehmen.
Wenig später sorgt der sogenannte „Muslim-Test“ für Rummel, ein Fragebogen, der in Baden-Württemberg Einbürgerungswillige aus muslimischen Ländern auf ihre Verfassungstreue prüfen soll. Dabei wird u.a. deren Haltung zu fiktiven homosexuellen Söhnen und realen homosexuellen Politiker_innen abgefragt. Zwar für seinen eigentlichen Zweck völlig unbrauchbar, entpuppt sich der Test doch immerhin als prima Barometer des deutschen Binnenklimas. Die aufkeimende Freude darüber, dass die Akzeptanz von Homosexualität ausnahmsweise einmal in den offiziellen Kanon deutscher Grundwerte aufgenommen wurde, weicht bald der Ernüchterung. In die berechtigte Kritik an der Untauglichkeit der gesamten Fragebogen-Idee mischen sich Stimmen, die an besagter Kanonisierung auch schon wieder sägen.
Während andere der vielen seltsamen Fragen – wie etwa die zum Schwimmuntericht von Mädchen – unbehelligt durchgehen, erregen die Fragen zur Homosexualität allenthalben Befremden und Ablehnung. „Nicht besonders glücklich“ seien gerade diese Fragen, windet sich Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Der Chef des Bundestags-Innenausschusses Sebastian Edathy (SPD) dekretiert, es gehe den Staat
„null komma nichts an, wie jemand zum Schwulsein steht“,
ähnlich Armin Laschet (CDU), der nordrhein-westfälische Integrationsminister. Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, behauptet, jeder habe das Recht, eine „eigene Meinung zur Homosexualität“ zu haben. Selbst LSVD-Sprecher Manfred Bruns, zunächst recht angetan von der Erhebung der Homofreundlichkeit in den Rang einer leitkulturellen Basistugend, beteuert bald sein Mitgefühl mit „Menschen, die persönlich nichts mit Homosexuellen zu tun haben wollen“. Und immer wieder lesen wir die verdutzte Erkenntnis: Da könnte ja nicht mal der Papst eingebürgert werden – dessen eklatante Schrägstellung zu gewissen zivilisatorischen Errungenschaften aber auch diesmal natürlich nicht weiter problematisiert wird. Einen besonders anmutigen O-Ton verdanken wir der Frauenrechtlerin und Rechtsanwältin Seyran Ates:
„Während viele Menschen vielleicht denken mögen, dass Homosexualität das Abartigste ist, was die Menschheit hervorgebracht hat, habe ich damit keinerlei Probleme.“
Schön, dass wir’s bei der Gelegenheit noch einmal so deutlich hören durften.
Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) kündigte denn auch recht schnell an,
„ein paar verfängliche Fragen, die gerade auch in Richtung Homosexualität zielen, bei denen einfach der Sinn und Zusammenhang nicht erkennbar ist“,
wieder aus dem Fragebogen verschwinden zu lassen, und zwar „sang- und klanglos“.
Eben: Wie zum Teufel konnte eigentlich irgendwer auf den so offenkundig absurden Gedanken kommen, Toleranz gegenüber Lesben und Schwulen gehöre zu den grundlegenden Idealen unserer Gesellschaft und stünde in irgendeinem Zusammenhang mit unseren zentralen Werten?
Selbstverständlich ist es eine krude Idee, Einwanderer_innen eine Toleranz abzuverlangen, die in unserem Land weder juristisch noch gesellschaftlich tatsächlich verankert ist; insofern sind die Einwendungen nicht völlig unverständlich. Trotzdem verblüfft die Selbstverständlichkeit, mit der die „Meinung“ zu Homosexualität zur reinen Privatsache erklärt wird. Frauenunterdrückung gilt zu recht als eine Bedrohung unseres gesamten Wertesystems, Homophobie dagegen lediglich als persönliche Einstellung, Charakterschwäche oder religiöse Folklore. Die Not der Deutschtürkin, die in eine arrangierte Ehe gezwungen wird, ist ein öffentliches Problem, die des schwulen Deutschtürken, den seine Familie verstößt, ein privates. Das ist schließlich bei den Müllers genauso wie bei den Özdemirs. Das halbherzige Ansinnen, Homofreundlichkeit als „deutsche Grundtugend“ zu proklamieren, versandet deshalb auch sofort wieder: Sorry, war nur ein Versehen, wir haben es natürlich nicht so gemeint. Der plumpe Versuch von Politiker_innen, die für aktive LGBTI-Politik sonst keinen Finger rühren, ihre aufgestaute Homophobie endlich auf „die Muslime“ projizieren und dabei auch denen gleich noch eins reinwürgen zu können, implodiert an seiner eigenen Verlogenheit.
Es bleibt die Erkenntnis: Die Sonntagsreden werden immer schöner. Dass aber die Akzeptanz von Homosexualität wirklich als ein Grundwert unserer Gesellschaft wahrgenommen, aktiv gefördert oder im Ernstfall von anderen als uns selbst verteidigt wird, darauf können wir offenbar warten, bis wir schwarz werden.
PS. Eine machte bezüglich des Homo-Alarms in der RKK doch den Mund auf: Monika Spring, Sprecherin der konservativen Schweizer Christdemokratischen Volkspartei (CVP), ärgerte sich über die verquere Sexualmoral der „größten Schwulenorganisation der Welt“ in der Neuen Zürcher Zeitung:
„Der Papst ist ein Depp. Das können Sie ruhig schreiben.“
Am nächsten Tag war sie ihren Posten los.
[Anmerkung: Nein, dieser Blog ist nicht wirklich schon so alt. Ich habe diesen Text und „Falsette, Flaggen und Frisuren“, die eigentlich anderswo erscheinen sollten, zurückdatiert.]