Wohlfühlaktivismus für Anständige – die Diskussion um das Blutspendeverbot

„Das ist Max“, lese ich auf der Webseite der Initiative Bunt Spenden. „Er will Blut spenden. Max ist Blutgruppe B, aber Max ist auch bi. Also kann er keine Leben retten.“ Begleitet wird der simple Text von kindgerechten Strichzeichnungen, auf denen Max ganz traurig guckt, weil er keine Leben retten darf. „Denn in Deutschland ist bi- und homosexuellen Männern Blut spenden verboten.“

Aufklärung über komplexe Sachverhalte, so dämmert mir, während sich ein knappes Dutzend spektakulär schlichter Sätze beim Herabscrollen in qualvoller Zeitlupe abspult und meine Hirnleistung effektiv auf Vorschulniveau herunterdimmt, ist wohl eher nicht das Ziel dieser Kampagne.

Da, ein kleiner Button, der mehr Infos verspricht: „Das strikte Verbot ist nicht nur diskriminierend, sondern auch sinnlos. Neue Technologien machen HIV-Tests schneller, günstiger und genauer. Sie sorgen dafür, dass unser Blut 100 % sicher ist und niemand länger unter Generalverdacht stehen muss.“

Wie bitte? 100 % sicher? Generalverdacht?

Klar, über die teils wenig zielführenden Fragebögen, die wegen der eben nicht hundertprozentig sicheren Tests ¹ vor die Blutspende geschaltet werden, um Spender_innen mit erhöhten Infektionsrisiken auszufiltern, kann man streiten. Ja, wir sollten sogar dringend über einige Details dieser Fragebögen diskutieren.

Wir könnten uns z.B. wirklich fragen, ob die unzweifelhaft erhöhte HIV-Prävalenz (Anzahl der Infizierten) unter Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) den pauschalen Ausschluss schwuler Männer von Blut- und Organspenden heute noch rechtfertigt ². Wir könnten uns fragen, ob es nicht bei hetero-, bi- wie homosexuellen Spender_innen viel wichtiger wäre, danach zu fragen, ob es um safer sex oder um unsafe sex geht, statt uns, wie das in diesen Fragebögen geschieht, allein am subjektiv als erhöht oder normal empfundenen Tempo der Partner_innen-Wechsel aufzuhängen. Wir könnten uns fragen, ob Blutspendefragebögen nicht gleichzeitig zu einer sinnvollen safer-sex-Aufklärung genutzt werden könnten, statt in ihnen den präventionspolitisch verheerenden Eindruck zu verstärken, das Infektionsrisiko habe vor allem mit der Frage zu tun, wer wann wo wie oft mit wem Sex hat – und fast gar nichts damit, ob wir wo auch immer und mit wem auch immer safer sex betreiben oder nicht. Wir könnten uns fragen, welche anderen Infektionen außer HIV beim Blutspenden noch eine Rolle spielen und wie es dort mit Prävalenzen, Testsicherheit und Risiken aussieht.

All diese Fragen werden aber bei Bunt Spenden nicht beantwortet und schlimmer: nicht einmal gestellt. Wären die Antworten nur zu komplex, so hätte man ja versuchen können, sie im selben „Frag die Maus“-Stil zu vermitteln wie die Geschichte vom traurigen diskriminierten Max. Das ist aber gar nicht gewollt. Das allzu vielschichtige Problem wird stattdessen auf eine einzige Formel reduziert: Das Blutspendeverbot für Schwule ist böse und muss weg. Und wie es auf der Webseite heißt: „Bunt Spenden’ ist mehr als nur eine Petition, ‚Bunt Spenden’ ist eine gute Sache.“ Es geht darum, gut zu sein, und darin erschöpft sich der eigentliche Zweck der Kampagne auch schon. Informationen stören da nur.

Statt über die technischen Probleme bei der Diagnose von Erregern in Blutspenden aufzuklären, werden diese Probleme also kurzerhand für gar nicht existent erklärt. Wir erfahren nichts über die Bedeutung nicht-diagnostizierter Neu-Infektionen, nichts über den Zusammenhang von Kosten und Sicherheit, nichts über den ebenso pauschalen Ausschluss anderer Gruppen wie Häftlingen oder Junkies. Die statistisch tatsächlich höhere Wahrscheinlichkeit für MSM, auf einen HIV-positiven Sexpartner zu treffen – die verschweigen wir lieber ³, denn Schwule sollen und müssen ja in allem gleich sein, wenn sie gleiche Rechte wollen. Selbst wenn das medizinisch und juristisch Unsinn ist. Aufklärung ist was anderes.

Selbst den wenigen Informationen, die die Webseite bietet, können die Besucher_innen nur allzu bequem ausweichen: Der Button „JETZT UNTERSCHREIBEN“ taucht auf der Startseite an prominenter Stelle schon vor dem Angebot auf, den armen Max kennenzulernen. Diejenigen, die sich doch die Mühe machen, sieben Sekunden mit dem Strichmännchen zu verplempern, entdecken zwei [!] Kurzinfos auch nur dann, wenn sie dafür kleine Extrabuttons anklicken. Am Ende erscheint erneut der Button „UNTERSCHREIBEN“ noch vor „PETITION LESEN“.

Die Frage drängt sich auf, ob es denn eigentlich gewollt ist, dass die Besucher_innen überhaupt lesen und verstehen, was sie da unterschreiben. Um Aufklärung geht es hier offenbar gar nicht, sondern wohl eher um das schnelle und kostenlose Gefühl, zu den Guten zu gehören, die den braven Schwulen beistehen im Kampf gegen all diese schlimmen Diskriminierungen, worin auch immer die nun eigentlich schon wieder genau bestehen mögen. Das ist ein politischer Wellness-Bereich. Nicht erst lange nachdenken, einfach unterschreiben, gut sein und wohlfühlen.

Und ich würde dieses gute Gefühl ja sogar jedem_r von Herzen gönnen. Es ist wunderbar und wichtig, dass sich möglichst viele Menschen jeglicher sexueller Identitäten gegen Diskriminierungen aussprechen.

Wäre nicht die Debatte um den Ausschluss homosexuell aktiver Männer bereits seit mehreren Jahren von irritierenden Zwischentönen begleitet, die sich auch in diese Aktion wieder einschleichen.

Da ist zum Beispiel dieses Wort …

„Schluss mit dem Generalverdacht“ – so wird schon im Titel dieser Petition die Vokabel wiederholt, die seit mehreren Jahren in nahezu jeder einzelnen Veröffentlichung zum Thema an zentraler Stelle unweigerlich auftaucht (Google-Suche nach „Blutspende + Generalverdacht“: 17.300 Ergebnisse). Das Wort „Generalverdacht“ ergibt aber nur dann irgendeinen Sinn, wenn man das, dessen man da verdächtigt wird, als etwas betrachtet, das man um der eigenen Ehre willen von sich weisen muss. Noch deutlicher wird das in der fast ebenso beliebten Formulierung „Vorverurteilung“. Das sind Vokabeln aus dem Bereich des Strafrechts oder der Moral, nicht dem der Medizin.

Trotz der Häufigkeit der Formulierung wird nur selten explizit erklärt, wovon genau denn eigentlich die Rede ist. Worum geht es bei diesem „Generalverdacht“?

Ist es der Verdacht, eine HIV-Infektion haben zu können? Ist eine solche Infektion also etwas Abwertendes, etwas Unmoralisches? Ist es kränkend oder beleidigend, dem Verdacht ausgesetzt zu sein, ein erhöhtes Infektionsrisiko zu haben oder bereits infiziert zu sein? Wenn ja, warum? Würden wir analog davon reden, dass es schrecklich diskriminierend sei, dicke Menschen einem „Generalverdacht“ der Diabetes auszusetzen? Ist diese Formulierung denkbar, ohne dass ihr eine Abwertung von HIV-positiven Menschen als Subtext zugrundeliegt?

Den Laiendiskutant_innen in Internetforen würde ich das moralisierende Sprechen über Krankheiten vielleicht noch durchgehen lassen. Von einem „Generalverdacht“ sprechen aber in offiziellen Anträgen z.B. auch die Grünen im Madgeburger Landtag („den Generalverdacht über homosexuelle Männer beenden“), SPD und Grüne im Bremer Senat („Generalverdacht aufgrund der sexuellen Orientierung“) und dieselben Fraktionen im Landtag von NRW, diesmal sogar schon im Titel des Antrags („Homosexuelle Männer nicht unter Generalverdacht stellen“).

Oder geht es hier um den „Verdacht“, einem vermeintlich unmoralischen Lebensstil zu frönen, etwa promisk zu leben oder in einer offenen Beziehung? Ist es das, wovon man sich distanzieren zu müssen glaubt?

Letzteres scheint eine weitere Formulierung der Petition Bunt Spenden nahezulegen, ohne es aber explizit zu benennen: „Wir glauben, dass die Sicherheit von Blut mit dem Lebensstil [!] der Spender zu tun hat und nicht mit ihrer sexuellen Orientierung.“

Fairerweise muss ich zugeben, dass die Petition etwas weiter unten dann doch präzisiert: „Denn es gibt eine einfache Lösung: die Safe-Sex-Regel.“ Es darf aber wohl angemerkt werden, dass „Lebensstil“ ein verdächtig missverständlicher Ausdruck ist, wenn man damit wirklich das sexuelle Schutzverhalten meint.

Auch der LSVD, Mitorganisator von Bunt Spenden, stellt dankenswerter Weise fest: „Das Risiko bemisst sich […] nicht nach der Art der Sexualpraktiken, sondern danach, ob diese „safe“ oder „unsafe“ sind.“

Allerdings sind diese beiden Fälle Ausnahmen. Meiner persönlichen, nicht repräsentativen Statistik nach wird grob geschätzt nur in einem von fünfzig Diskussionsbeiträgen zum Thema Blutspendeverbot safer sex als Hauptaspekt angesprochen. Die Regel bleibt weiterhin leider das völlig undifferenzierte Gleichsetzen von „Lebensstil“ und „Infektionsrisiko“, und zwar wiederum nicht nur im Stammtischbereich, sondern auch von offizieller Seite. Ein Antrag von einzelnen grünen Abgeordneten und der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag formulierte es 2010 beispielsweise so: „Im Fall von schwulen Männern wird der Ausschluss durch die Bundesärztekammer mit der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe begründet, unabhängig von einem individuell tatsächlich vorliegenden Sexualverhalten, wie z. B. häufig wechselnde Sexualpartner.“

Hier wäre es doch sinnvoll und schön gewesen, zu erwähnen, dass auch häufig wechselnde Sexualpartner_innen an sich das Infektionsrisiko nur minimal erhöhen, sofern man nur konsequent safer sex praktiziert. Dieses Stichwort fällt aber in dem Antrag kein einziges Mal, und auch in keinem anderen mir bekannten. Da reden sich hunderte von Aktivist_innen seit Jahren den Mund fusselig, dass es nicht so furchtbar wichtig ist, mit wem und wie oft man es treibt wenn es nur safer sex ist – und dann so etwas.

Stattdessen wird missverständlich von „Sexualverhalten“ oder „riskanten Sexualpraktiken“ gesprochen. Diesen werden zugleich monogame Beziehungen mehr oder weniger indirekt als sicherer Hort gegenübergestellt, ungeachtet der Tatsache, dass geschätzte 30% der HIV-Neuinfektionen in Deutschland innerhalb vermeintlich monogamer Beziehungen stattfinden, dass auch hier also die Frage nach safer sex mindestens so wichtig wäre wie die nach der Anzahl der Sexpartner_innen oder der Art der Beziehung. So erklärte Kai Klose, grüner Landtagsabgeordneter in Hessen nach seiner Abweisung bei einer Blutspendeaktion des Landtags: „Meiner Überzeugung nach gibt es genauso heterosexuelle Männer und Frauen, die ein risikoreiches Sexualverhalten haben wie es schwule Männer gibt, die in langjährigen monogamen Beziehungen leben.“

An sich mag das stimmen. Es ist wieder einmal die Botschaft zwischen den Zeilen, die so unsympathisch aufstößt.

Ich würde mir wünschen, dass diejenigen, die hier so tapfer gegen die Windmühlen der Schwulendiskriminierung anreiten, gleichzeitig einmal feststellen könnten, dass es selbstverständlich nichts Ehrenrühriges ist, HIV-positiv zu sein. Dass promiskes Leben und offene Beziehungen selbstverständlich nicht schlechter oder unethischer sind als monogame Partnerschaften. Dass all das nichts ist, wovon man sich distanzieren muss, um als respektwürdig zu gelten. Dass ihnen die Nichtdiskriminierung von HIV-Positiven, von Junkies, von Sexarbeiter_innen und von vermeintlich „versauten“ Schwulen ebenso am Herzen liegt wie die von monogamen Pärchen.

Ich habe solche Worte in diesem Zusammenhang noch nie gehört.

So bleibt der Verdacht, dass die notwendige Diskussion um Blutspenden von vielen leider vor allem dazu instrumentalisiert wird, sich oder anderen ein gutes Gefühl zu verschaffen. Das ist an sich nicht schlimm. Ich wünsche mir nur, dass wir alle etwas mehr darauf achten, dass dieses gute Gefühl nicht von anderen Menschen bezahlt werden muss. Es ist nicht okay, die Abwertung bestimmter Menschengruppen, in diesem Fall vor allem von HIV-positiven und promisken Schwulen, unreflektiert als Subtext der eigenen Argumentation zu übernehmen, um sich als braven Schwulen aufzuwerten, oder um eine Gruppe gegen eine andere auszuspielen. Dieses Verhalten bringt die solidarische Gesellschaft, von der ich immer noch träume und die ich für die unabdingbare Grundlage wirklicher – nicht nur schwuler – Emanzipation halte, keinen Schritt voran. Im Gegenteil.


Fußnoten:

¹ Wir verfügen heute über Tests, die z.B. das HI-Virus ab einer recht geringen Konzentration im Blut nachweisen können. Im Vergleich zu früheren Tests, die nicht das Virus selbst, sondern nur Antikörper nachwiesen, verringert sich damit das diagnostische Fenster (also die Zeit, in der eine frisch erworbene Infektion vorhanden, aber nicht nachweisbar ist) von mehreren Wochen auf einige Tage. Aus Kostengründen werden viele Blutspenden zusammengeschüttet und dann als „Pool“ getestet. Bei negativem Ergebnis werden alle Proben des Pools freigegeben, bei positivem Ergebnis jeweils kleinere Pools gebildet, bis man die infizierten Einzelspenden identifiziert hat und aussondern kann. Das Problem hierbei ist, dass die Tests wegen der Verdünnung der Proben unsicherer werden, und zwar umso stärker, je größer der Pool ist. Werden z.B. 50 Proben zusammengeführt, kann die Viruskonzentration einer infizierten Einzelprobe 50-mal höher sein als bei einer unverdünnt getesteten Probe, ohne erkannt zu werden. Damit erweitert sich das diagnostische Fenster wieder um einen entsprechenden Zeitraum. Eine 100-prozentige Sicherheit kann durch Tests allein also nicht erreicht werden – zumal ja neben HIV auch noch einige andere Mikroorganismen unterwegs sind, die bei der Übertragung weniger anspruchsvoll sind als HIV.

² Die sehr geringe Fallzahl von Infektionen, die nachweislich durch Blutprodukte von MSM verursacht wurden, scheint dagegen zu sprechen: Zwischen 2000 und 2010 waren es zwei von insgesamt fünf Fällen.

³ Stattdessen wird als einzige Erklärung nebulös auf den Blutkonservenskandal von 1993 verwiesen, als sei der Ausschluss schwuler Männer schon immer reine homophobe Willkür gewesen.

2 Kommentare zu “Wohlfühlaktivismus für Anständige – die Diskussion um das Blutspendeverbot

  1. „Würden wir analog davon reden, dass es schrecklich diskriminierend sei, dicke Menschen einem “Generalverdacht” der Diabetes auszusetzen?“

    Du bist noch nicht in Kontakt zu Fat-Positve-Aktivistinnen gekommen, oder? ^^

    Ich finde es sehr gut, dass du diese Schieflage der Argumentation ansprichst. Ich habe in meinem Leben einige Männer kennen gelernt, die aus Prinzip Kondome ablehnen. Die dürfen alle Blut spenden, weil sie hetero sind.
    Grade habe ich mir einen aktuellen Fragebogen des Roten Kreuzes angesehen… kaum zu glauben, aber da ist wirklich KEINE Frage zu Safer Sex… aber bereits einmaliger schwuler Sex macht einen offensichtlich als Spender ungeeignet!

    Diese Debatte ist auch aus heterosexueller Perspektive so verlogen. Ich bin ja keine Expertin – wenn also aus ärztlicher Sicht ungeschützter Analverkehr so viel riskanter ist als Vaginalverkehr, okay. Dann sollten Schwule, die den praktizieren, vielleicht tatsächlich nicht spenden dürfen. Aber für Heteros soll das dann doch bitteschön genauso gelten.

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