Wie man die Ehe vor verheirateten Paaren schützt

Pamela Halling möchte eine Eheurkunde haben, in der ihr Name und ihr Geschlecht stehen. Das sollte nicht zu viel verlangt sein, denkt man. Aber Frau Halling ist transident und hat ihre Frau vor ihrer offiziellen Personenstandsänderung geheiratet. Die Standesbeamtin ist damit überfordert und redet sich mit der Begründung heraus, kein passendes Formular zu finden. Frau Halling wendet sich daraufhin in einer Email an Angela Merkel. Was auch immer sie dazu treibt, ausgerechnet diesen Weg zu wählen, sie tut es mit charmantem Sarkasmus und, wie wir gleich sehen werden, mit überraschendem Ergebnis.

„Als transidente Person gehöre ich natürlich nicht zur Zielgruppe ihrer Partei. Aber trotzdem sind Sie meine Kanzlerin und somit richte ich mich mit meinen Fragen auch an Sie. […] Ich würde mich sehr freuen, wenn ich von Ihnen eine Antwort bekommen würde, die mir erklärt, wie ich an eine Eheurkunde mit dem richtigen Namen und dem richtigen Geschlecht komme.“

Die Antwort aus der CDU-Bundesgeschäftsstelle kommt von der „zuständigen Referentin“ der Bundeskanzlerin, Astrid Burholt:

„Nach Auffassung des BVerfG [des Bundesverfassungsgerichts] ist es nicht möglich, dass zwei ‚personenstandsrechtliche‘ Frauen oder Männer miteinander verheiratet sind. […] Eine exemplarische Entscheidung mit Begründung des BVerfG können Sie hier nachlesen: [Link]. […] Wenn man als transidenter Mensch die personenstandsrechtliche Änderung anstrebt, so hat man nur die Alternative, entweder alles bleibt so, wie es ist oder man lässt sich scheiden, strebt eine Personenstandsänderung an und geht anschließend eine Lebenspartnerschaft ein.“

Nun, Frau Halling ist ganz offiziell eine Frau und sie ist ganz offenkundig immer noch verheiratet. Beides benennt sie klar und deutlich in ihrer Anfrage. Bizarrerweise scheint Frau Burholt aber irgendwie davon auszugehen, dass Frau Halling sich ihre weiterbestehende Ehe nur einbilde und ignoriert diese Fakten einfach. Es fühlt sich sicher nicht gut an, wenn man als erwachsener Mensch so behandelt wird. Burholts Antwort ignoriert aber nicht nur die Existenz der Fragestellerin, sondern auch die Rechtslage. In der Entscheidung von 2008, die Frau Burholt selbst verlinkt, steht das exakte Gegenteil dessen, was sie behauptet. Das BVerfG stellt dort fest, dass der „Schutz der Ehe“ auch dann fortbestehe, wenn einer der Eheleute Körper, Namen und Personenstand verändere. Die 56 Jahre währende Ehe der damaligen Klägerin konnte nach dieser Entscheidung als Ehe zweier Frauen weiterbestehen, da es niemandem zumutbar sei, zwischen der Personenstandsänderung und der Aufrechterhaltung der Ehe, also zwischen zwei Grundrechten, wählen zu müssen. Das Gesetz, das bisher die Ehelosigkeit bei der Personenstandsänderung vorschreibt, sei verfassungswidrig und, völlig unmissverständlich,

„… bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung nicht anwendbar.“

Frau Burholt hat diese Entscheidung entweder nicht verstanden oder gibt sie bewusst vollkommen falsch wieder. Beides wäre wenig schmeichelhaft für eine Referentin der Bundeskanzlerin.

Die „Lösung“, die da aus der CDU-Geschäftsstelle kommt, bestünde demnach darin, dass Halling auf ihre verfassungsmäßigen Rechte verzichtet, sich der Desinformation der CDU anschließt und, statt nach einer Urkunde zu quengeln, einsieht, dass sie, obwohl Frau und verheiratet, wohl mindestens eines von beidem nur geträumt hat. Ich bekomme langsam eine immer bessere Vorstellung davon, wie surreal die Zumutungen sind, mit denen unsere Gesellschaft Menschen mit falscher oder ehemals falscher Geschlechtszuweisung täglich konfrontiert.

Frau Burholt schreibt weiter:

„Um gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht zu diskriminieren wurde das Institut der Lebenspartnerschaften geschaffen.“

Auch hier ist natürlich das genaue Gegenteil wahr. Dieses Institut wurde als ein diskriminierendes Sondergesetz geschaffen. Bis heute gibt es Dutzende von Benachteiligungen Eingetragener Lebensparterschaften gegenüber Ehen. Erst vor kurzem haben sich die Grünen die Fleißarbeit gemacht, 150 Benachteiligungen in 54 Gesetzen zusammenzutragen und dem Parlament zur Änderung vorzuschlagen.

Die zitierte Entscheidung des BVerfG liegt, wie gesagt, seit 2008 vor. Geschehen ist seitdem nichts. Von der geforderten Neuregelung keine Spur. Frau Burholt schreibt dazu:

„Es werden derzeit Reformvorschläge diskutiert, die Ehe bei transidenten Paaren, ohne Scheidung in eine eingetragene Lebenspartnerschaft umzuwandeln.“

Das BverfG hat drei Optionen für eine Neuregelung vorgegeben: Möglich wäre die Aufrechterhaltung der betroffenen Ehen – das ist die derzeitige Rechtspraxis und wohl wirklich nur dann ein Problem, wenn man es aus ideologischen Gründen nicht erträgt, dass zwei Männer oder zwei Frauen miteinander verheiratet sind. Möglich wäre zweitens die Schaffung einer neuen Institution neben Ehe und Lebenspartnerschaft – eine recht kuriose Idee, aber verfassungsrechtlich denkbar. Möglich wäre drittens die Umwandlung der betroffenen Ehen in Lebenspartnerschaften, allerdings ausdrücklich nur in solche mit allen (!) Rechten einer Ehe. Hierbei müsse der Gesetzgeber nämlich

„… Sorge dafür tragen, dass die erworbenen Rechte und auferlegten Pflichten aus der Ehe einem solchen Paar in der Eingetragenen Lebenspartnerschaft ungeschmälert erhalten bleiben.“

Die Zwangsüberführung einer bestehenden Ehe in eine mit minderen Rechten ausgestattete Lebenspartnerschaft – und das wäre die jetzige Situation – hat das BVerfG also unmissverständlich ausgeschlossen. Vielleicht ist es sogar ein wenig erleichternd, dass wir inzwischen an Frau Burholts Verhältnis zur Realität zweifeln dürfen. Sollte nämlich innerhalb der Union tatsächlich eine solche Reform diskutiert werden, so hieße das, dass dort ein offener Verfassungsbruch geplant würde, statt die Forderung des BVerfG endlich umzusetzen.

Ich weiß nicht, ob solche Unverschämtheit, Inkompetenz und Rechtsverdrehung in anderen Politikbereichen so unbemerkt durchgingen wie das hier wohl wieder der Fall sein wird. Wir müssen uns sicher keine Illusionen darüber machen, dass die Opposition oder die Medien den Schlendrian bei dieser und anderen Reformen des Transsexuellengesetzes (bzw. dessen Abschaffung) endlich einmal mehr als halbherzig kritisieren werden oder dass die Öffentlichkeit sich hierfür wirklich interessieren wird. Auch das angebliche „Abstandsgebot“ zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft, vom BVerfG mehrfach ausdrücklich negiert, wird ja von der Union weiterhin herbeigelogen, ohne dass da mal ein*e Journalist*in dazwischengrätscht.

Als wäre das alles noch nicht verstörend genug, lässt Frau Burholt am Ende noch einen Böller los, der angesichts der bis heute fortdauernden Diskriminierungsgeschichte der Union an Zynismus kaum zu überbieten ist:

„Würde man im Falle der Transsexuellen eine (dann gleichgeschlechtliche) Ehe zulassen, so würde man Lesben und Schwule diskriminieren.“

Dazu fällt mir jetzt wirklich nichts mehr ein. Der eigentliche Witz ist aber: Dieses und etliche weitere Probleme wären natürlich mit einer einfachen Lösung vom Tisch, die gleichzeitig als einzige einer Demokratie würdig wäre, die es mit dem Gleichheitsgrundsatz ernst meint: der Einführung der geschlechtsneutralen Ehe. Aber das wollen weder die Konservativen noch die Linken noch die Liberalen wirklich. Sie schärfen ihr politisches Profil auf unsere Kosten, und zwar alle. Die Konservativen können weiterhin zeigen, dass der „Schutz der Ehe“ für sie vor allem darin besteht, das Institut der Ehe vor ehewilligen und offenbar sogar vor bereits verheirateten Paaren wie Frau Halling und ihrer Frau zu schützen. Der „Schutz der Ehe“ bleibt für sie eine nützliche Verschleierungsmetapher für Homo- und Transphobie. Dabei wurde der Artikel 6 aus den Erfahrungen der Nazizeit heraus in das Grundgesetz aufgenommen, um bestehende Familien vor staatlichen Eingriffen oder Zwangsauflösungen zu schützen. Sollte die Union tatsächlich vorhaben, verheirateten Paaren den Ehestatus oder bestehende Rechte zu entziehen, so würde sie damit abermals beweisen, dass ihnen Diskriminierungen wirklich wichtiger sind als das Grundgesetz, der Schutz realer Ehen oder irgendwelche Werte. Und die Linken und Liberalen können weiter mit Brosamen locken, wie sie es seit Jahrzehnten mit beschämend großem Erfolg tun: „Wenn ihr uns wählt, haben wir vielleicht wieder ein kleines Scheibchen Gleichheits-Surrogat für euch. Aber nur wenn ihr nicht frech werdet und gleich mit am Tisch sitzen wollt.“ Dieses ertragreiche Spielchen würde entfallen, sobald die echte Gleichstellung erreicht wäre.

Und so krabbeln wir weiter durch skurrile Labyrinthe der Spitzfindigkeiten, der Halbherzigkeiten, der Instrumentalisierungen und der puren Verarsche, wie durch dieses hier, das mich immerhin nun auch einige Zeilen und Zeit gekostet hat – und Frau Halling wahrscheinlich unvergleichlich viel mehr. Vielleicht ist das manchmal immer noch nötig. Aber es sollte uns klar sein: Diese entwürdigende Krabbelei kostet uns Energie, die wir eigentlich für sinnvollere Kämpfe zur Verfügung haben sollten. Und solange wir hier drin herumkrabbeln, gehen wir nicht wirklich aufrecht.

7 Kommentare zu “Wie man die Ehe vor verheirateten Paaren schützt

    • Ich habe es so verstanden, dass die offene (!) Email an Merkel durchaus nicht nur das konkrete Problem lösen, sondern auch eine Diskussion anregen sollte. Was ja, wie du sagst, nun auch gelungen ist.

      Natürlich war mit einer ideologiefreien Antwort nicht unbedingt zu rechnen. Genau das ist doch das Spannende. Allerdings hätte man doch zumindest erwarten dürfen, dass die Ideologie nicht die rechtliche Realität einfach wegwischen würde. Frau Burholt ist immerhin Geschäftsführerin des Bundesarbeitskreises Christlich Demokratischer Juristen (BACDJ). Als solche sollte sie in der Lage sein, eine Entscheidung des BVerfG richtig zu lesen.

      Aus der Webseite des BACDJ:
      „Der BACDJ verfolgt das Ziel, die rechtspolitischen Vorstellungen der CDU in allen Bereichen der juristischen Wissenschaft und Praxis zu verbreiten und die dort zum Ausdruck kommenden Gedanken und Arbeitsergebnisse in die Politik der CDU einzubringen.“

      Wenn das heißen soll, die „rechtspolitischen Vorstellungen der CDU“ sogar gegen geltendes Verfassungsrecht „zu verbreiten“, dann würde ich mal sagen: Die haben etwas ganz Wichtiges an unserem Rechtsstaat nicht verstanden.

  1. „In der Entscheidung von 2008, die Frau Burholt selbst verlinkt, steht das exakte Gegenteil dessen, was sie behauptet.“

    Das war auch das erste, was mir auffiel. Die Lösung dieser Merkwürdigkeit schreibt Frau Burholt im letzten Absatz gekonnt verschleiert. Würde die Union die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umsetzen, stünde sie vor dem Problem, dass Homosexuelle auf Gleichbehandlung klagen könnten und so die Homoehe quasi durch die Hintertür käme. Das soll mit allen Mitteln verhindert werden, darum diese Verdrehung des Urteils von 2008. Zynischerweise wird dann noch so getan,als wolle man homosexuelle Paare „nicht diskriminieren“ während man gleichzeitig eben das im Sinn hat und darum die bestehende Rechtslage negiert.

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