Das Paarprivilegien-Projekt: Fast wie richtige Menschen

Nicht alle unverheirateten Menschen dieses Landes – das gerät derzeit möglicherweise ein wenig in Vergessenheit – fristen ihr Dasein in verzehrender Sehnsucht nach Goldringen, Verwandtschaftsaufläufen und mehrstöckigen Torten. So war auch für mich die Ehedebatte nie ein Thema, das mir wirklich am Herzen lag. Bisher.

Eher irritiert beobachtete ich 1999 die Einführung der sogenannten „Hamburger Ehe“ für homosexuelle Paare, eine förmliche Eintragung ohne jegliche rechtliche Konsequenzen. Ich lasse mich ja gern mal kritisch anstupsen, wenn ich ein halbvolles Glas als halbleer ansehe. Wie glückselig die Menschen da mit einem vollkommen leeren Glas anstießen, erschien mir dennoch ein wenig surreal. Der Staat nehme erstmals homosexuelle Partnerschaften zur Kenntnis, hieß es, und ich fragte mich, ob wir es wirklich nötig haben, um bloße Kenntnisnahme zu betteln.

Rückblickend lag die Bedeutung der „Hamburger Ehe“ nicht nur im Beginn einer juristischen Diskussion, sondern vor allem in einer anderen Neuerung: Sie lieferte neue, bis dahin ungewohnte Bilder von Schwulen und Lesben.

Die gängigen Illustrationen queeren Lebens waren zuvor von einer starken Sexualisierung geprägt gewesen. Sowohl in den Medien als auch in den Köpfen herrschten Vorstellungen von Schwulen und Lesben als dauererotisierten Wesen vor, denen man nicht recht zutrauen mochte, dass sie einfach mal nur miteinander ins Kino gehen könnten. Diese durchsexualisierten Visionen homosexuellen Lebens hatten in der frühen Aids-Zeit noch einen weiteren Schub erhalten. Die neuen Bilder, in allen Medien anzuschauen, sprachen nicht von Sexualität, sondern von Liebe, Freundschaft und Partnerschaft. Sie zeigten keine halbnackten, gesichtslosen Körper an schlecht ausgeleuchteten subkulturellen Orten, sondern lächelnde Menschen in adretter Kleidung im öffentlichen Raum.

Der auflagensteigernde Neuigkeitswert dieser Bilder bestand paradoxerweise vor allem darin, dass diese Menschen sich in überhaupt nichts von den gewohnten gemischtgeschlechtlichen Brautpaaren unterschieden. In den Fotos von ringetauschenden Homo-Paaren fand eine neue Botschaft endlich ihre ikonografische Form: „Wir sind genauso wie ihr“. Die damals noch so verblüffende Gleichheit der vermeintlich Ungleichen wurde als ein medial extrem erfolgreiches Spektakel inszeniert, die Botschaft mit einer Mischung aus Erstaunen und Freude aufgenommen.

2001, mit der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes, begann sich das zunächst leere Glas der Rechte langsam zu füllen. Sagen wir es deutlich: sehr langsam. Gleichzeitig etablierte sich die neue Ikonografie so erfolgreich, dass sie inzwischen eine ganze Generation unserer Bewegung/en geprägt und eine neue Perspektive auf queeres Leben erzeugt hat: eine Perspektive, die statt auf der Feier des Andersseins vor allem auf der Differenzauslöschung beruht.

Mich ärgerte das alles.

Ich hatte ein bisschen Mitleid mit den Genoss*innen, die so dankbar ein diskriminierendes Sondergesetz bejubelten. Mich ärgerte, dass das neue Gesetz, das unsere Beziehungen immer noch so unübersehbar als minderwertig deklarierte, bei seiner Einführung allen Ernstes als „Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften“ betitelt wurde. War das Ignoranz oder Zynismus? Und für wie dumm hielten die uns eigentlich? Ich fühlte mich schlicht verarscht. Und ich ahnte ja noch nicht, wie viele weitere Jahre lang man uns jedes hingeworfene Bröckchen als „Gleichstellung“ schönlügen würde. Mit den Zeitgenoss*innen, die für jedes dieser Bröckchen dankbar an einer Hand leckten, hatte ich ein ernstes ästhetisches Problem.

Mich ärgerte auch die Entsexualisierung der Bilder homosexuellen Lebens.

Dass ausgerechnet die Ehe zum zentralen Symbol für „Nichtdiskriminierung“ wurde, liegt ja nicht daran, dass im Bereich der Paarprivilegien wirklich der einzige heute noch verbliebene Verbesserungsbedarf bestünde. Nein, im Symbol der Ehe wird vor allem der Aspekt verhandelt, der schon immer für die ambivalente Sicht auf queeres Leben, und wohl auch für Homophobie, zentral war: die Sexualität.

Natürlich steht die Ehe heute nicht mehr ausschließlich für die eingehegte, monogame, auf Reproduktion angelegte Sexualität, für die sie früher einmal stand. All diese Zumutungen und Normen lungern aber immer noch in direkter Nähe von Standesämtern und Altären herum und warten ab, ob sie sich im Rahmen eines konservativen Rollbacks nicht doch wieder dauerhaft einnisten dürfen. Und ich glaube durchaus, dass die Bilder von (scheinbar) treuen, monogamen, nun endlich „fest gebundenen“ schwulen und lesbischen Paaren auch deswegen so abgefeiert werden, weil man in ihnen die endlich geglückte Zähmung der einstigen Wilden erblicken kann, wenn man das möchte. Die Bilder der Schäfchen, die aus den wilden Landen des Hedonismus und der Perversionen so freudig in die Zucht und Ordnung der Herde einkehren, sind ein Sedativum gegen die spontane, uneingehegte Sexualität, deren Macht man immer noch insgeheim fürchtet. Ein Abwehrzauber gegen das wirklich „Andere“ der queeren Welten, das in seiner unüberschaubaren, beunruhigenden Vielfältigkeit nach wie vor eben nicht als gleichwertig akzeptiert ist.

Diese Abwehr geschieht durchaus auch inmitten unserer Subkultur/en. Zunehmend bricht sich hier eine verinnerlichte Sexualfeindlichkeit Bahn, verbündet sich mit internalisierter Homophobie und führt zu einer seit einigen Jahren immer stärker wahrnehmbaren moralischen Abwertung nicht-monogamer, nicht „ehe-ähnlicher“ Sexualitäten und Beziehungsformen. „Ehe für alle!“ klingt für mich in diesem Zusammenhang immer ein bisschen wie eine Drohung, denn die monogame Zweier-Ehe war nie wirklich nur eine Option, sie war und ist immer auch eine Norm, ein als allgemeinverbindlich gedachtes Ideal und nicht zuletzt auch ein Status-Symbol.

Peter Rehberg hat Recht, wenn er schreibt, Lesben und Schwule wüssten „intuitiv, dass von ihrer entsexualisierten Darstellung ihr Erfolg im Mainstream abhängt.“ Doch geht es hier nicht nur um eine rein strategisch kalkulierte Außendarstellung, sondern eben auch um eine emotionale Verinnerlichung und eine zunehmend aggressiv-missionarische Haltung, die nur noch die eine Strategie, nämlich Differenzleugnung und Entsexualisierung als angeblich gemeinsame, angeblich schon immer dagewesene Leitlinie für unsere Bewegung/en vorgeben möchte.

Mich ärgert der sich zunehmend in schwul-lesbischen Aktionsformen einschleichende Subtext, der sagt: „Gleiche Rechte, Respekt, Akzeptanz – das alles gibt es nur, wenn wir so werden wie die Heteros.“ Gleichberechtigung nur dank Gleichwerdung, oder sagen wir es ruhig polemischer: Assimilation statt Emanzipation.

Wenn einige Aktivist*innen, Medien und Politiker*innen es heute so aussehen lassen, als habe die gesamte queere Emanzipationsgeschichte nie auf irgendeinen anderen Zielpunkt zugestrebt als auf die Eheöffnung, dann ist das durchaus ein Akt des Ballastabwerfens und der Geschichtsklitterung. Es gilt, die Bewegungsgeschichte von ihren schmuddeligen Anteilen zu reinigen und die Forderungen nach freierer, ungebundenerer, selbstbestimmterer und nicht von traditionellen Ideologien und Normen eingehegter, queerer Sexualität, die diese Bewegung/en eben auch geprägt hatten, in die Vergessenheit zu drängen.

Mich ärgerte von Anfang an die Ellbogenmentalität, mit der viele Vertreter*innen des Bürgerrechtsflügels alle anderen Anliegen queerer Menschen als nachrangig oder unwichtig wegschoben. Erst, so hieß es da, müssten wir jetzt mal alle geschlossen an der Ehefront kämpfen, danach könne man dann ja weiter sehen. Promiskuität, Polyamorie, Darkroomkultur? Weg mit dem Schmuddelkram! Rechte von trans Menschen, Intersexuellen? Sollen die sich doch selber drum kümmern; diese Leute wollen wir ohnehin nicht so gern im Regenbogenfamilien-Fotoalbum neben uns sehen. Queere Migrant*innen, Asylant*innen, Flüchtlinge? Jaja, sicher alles wichtig, aber stellt euch doch bitte hinten an. Wenn wir erst mal unsere Steuerrückzahlungen durchgezählt und zwei Kinder adoptiert haben, reden wir darüber. Falls wir dann noch Lust haben.

Vor allem ärgerte mich der Grundtenor der neuen Botschaft. Ich wollte gar nicht gleich sein, sondern anders bleiben. Ich kann bis heute nicht einsehen, was es mit Toleranz zu tun haben soll, wenn man Menschen plötzlich okay findet, weil die ja doch genauso sind wie man selbst. Mir geht dabei irgendwie das Wesen wirklicher Toleranz verloren.

Ich stand mit meiner Kritik nicht allein. Und ich bildete mir das alles auch nicht nur ein.

Ich hörte beispielsweise von einer Demonstration, bei der trans Teilnehmer*innen gebeten wurden, ihre Plakate herunterzunehmen, weil zunächst einmal nur die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften auf der Tagesordnung stehe und man da nicht mit anderen Forderungen unnötig verwirren wolle. Wo immer ich eine aggressive Priorisierung der eigenen Interessen auf Kosten anderer erlebt habe, ging sie von Menschen aus, die die Eheöffnung zu einer Art Monotheismus erklärt hatten, den sie am liebsten als Staatsreligion für die gesamte Bewegung einführen würden.

Die hysterische Empörung über eine Bemerkung der saarländischen Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer, die die Eheöffnung für Mehrfachbeziehungen und Verwandte als mögliche Konsequenz der „Ehe für alle“ ansprach, zeigt beispielhaft, mit welcher Gedankenlosigkeit die Solidarität mit anderen Marginalisierten bisweilen zugunsten blinder, moralisierender Anbiederung über Bord geworfen wird. Kollege Steven Milverton bringt es auf den Punkt:

„Wenn schwule Menschen ein Problem damit haben, dass Kramp-Knarrenbauer ihre Beziehungen mit den Beziehungen anderer liebender Menschen in einem Satz nennt, dann sollten schwule Menschen einmal prüfen, ob sie Kramp-Knarrenbauers verstaubtes Moralkonzept wirklich als Abgrenzungsmerkmal übernehmen wollen.“

Die bürgerliche Assimilationspolitik ging mit einer Verarmung der politischen Visionen einher: Bis in die 90er Jahre hinein hatten verschiedene Aktivist*innen an wirklichen Perspektivwechseln in der Familienpolitik gearbeitet. Sie hatten Konzepte für eine umfassendere gesellschaftliche Akzeptanz und Förderung verschiedener Beziehungsformen jenseits von Monogamie und Familie formuliert und diese endlich bis in die Parteien hineingetragen. Es wäre nun an der Zeit gewesen, über konkrete Umsetzungen nachzudenken. Aber das alles wurde von den Bildern fliegender Brautsträße hinweggefegt, als habe es nie stattgefunden. Oder ist irgendwo eine wirklich moderne Reform des Familienrechts in Sicht? Irgendeine frische Vision noch im Gespräch? Die Fixierung auf die Ausdehnung der bestehenden Privilegien auf einen weiteren Kreis (seriell-) monogamer Paare bei gleichzeitiger Verdrängung politischer Konzepte, die eine größere Vielfalt von Lebensmodellen und die Bedürfnisse anderer deprivilegierter Menschen einschließen wollten, hatte einen politischen Preis, den nun die gesamte Gesellschaft zahlt. Die Bedürfnisse von Menschen, die wirklich anders leben als die bisher Privilegierten kommen in der politischen Praxis weiterhin kaum vor.

CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn redet viel Unsinn, aber in einem hat er leider nicht ganz Unrecht: Die Konservativen, sagt er,

„… haben den Kulturkampf gewonnen und merken es nicht. Die eher linke Szene und ihre Funktionäre kämpfen für die bürgerliche Ehe. Das ist fast eine Paradoxie der Geschichte. […] Die Schwulen und Lesben, die sich in ihrer Partnerschaft rechtlich verbindlich dauerhaft binden wollen, leben CDU-Programm.“

* * *

Ich bin mir sehr bewusst, dass die ganze Diskussion nicht nur Nachteile brachte. Auch diejenigen von uns, die selber nicht heiraten wollen, profitieren davon, endlich nicht mehr ausschließlich als sexuelle Wesen wahrgenommen zu werden. Es ist schön, dass sich die Sicht auf unsere Beziehungen zum Positiven verschiebt. Wir erleben eine gewachsene Sichtbarkeit in den Medien und im öffentlichen Raum, eine wachsende Selbstverständlichkeit und Anerkennung in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen. Die Diskussion um die Eheöffnung hat für einen wachsenden Respekt für schwules und lesbisches Leben gesorgt, an dem wir auch ohne Partner*in oder Ehewunsch teilhaben. Der Wandel in der Gesellschaft ist unübersehbar, und er hat sehr viel – wenn auch nicht nur – mit der neuen, die Gleichheit betonenden Perspektive zu tun.

Trotzdem war für mich die Geschichte der „Homo-Ehe“ immer vor allem eine Geschichte der Ärgernisse. Zwanzig Jahre des juristischen Klein-Kleins, der Lügen, der Verarsche, des politischen Taktierens auf unserem Rücken, der mühsam vor dem Verfassungsgericht erzwungenen Korrekturen einer grundgesetzwidrigen Rechtspraxis. Zwanzig Jahre der Schlagzeilen über angeblich vollzogene Gleichstellungen, die niemals wirklich welche waren, sondern immer nur halbherziges Flickwerk. Zwanzig Jahre, in denen Heteros zwar nicht mehr ganz unverhohlen auf uns spucken, sich aber doch weiterhin als ein bisschen gleicher verstehen durften. Zwanzig Jahre „Schaut nur, die Homos, wie drollig. Fast wie richtige Menschen.“ Zwanzig Jahre permanenter Erinnerungen an den minderwertigen Status unserer Beziehungen.

Und zwanzig Jahre des „Wir sind noch nicht so weit.“

Ich werde den Verdacht nicht los, dass diese unwürdige, demütigende Halbherzigkeit beiden Seiten immer willkommen war. Die eine Seite konnte den Wähler*innen Homofeindlichkeit als konservatives Leckerli anbieten. Sie konnte mit teils subtilen, teils groben Beleidigungen und mit der Wiederbelebung finsterster biologistischer Sexismen im reaktionären Sumpf fischen und gleichzeitig mit Hinweis auf das schon Erreichte die erfolgreiche Lüge „den Deutschen geht es so gut wie nie“ scheinheilig auf die ungeliebten Homos ausweiten. Die andere Seite profitierte davon, uns die „demnächst aber ganz bestimmt“ anstehenden 100% Gleichstellung an der Angel vor die Nase zu halten wie einem Esel die leckere Karotte. Wer jahrelang mit diesem Trick sein klapperiges Wägelchen voranzuckeln lässt, wird sich hüten, die wertvolle Karotte zu verfüttern.

Ich muss zugeben: Ich habe nie wirklich in Betracht gezogen, dass dieses Spielchen in Deutschland in absehbarer Zeit enden könnte. Der Trick mit der „Gleichheit in Scheibchen“ erschien mir allzu erfolgreich, allzu eingeschliffen, allzusehr zur reinen politischen Routine verkommen, um einen Durchbruch zu erwarten. Auch die Eheöffnungen in anderen Staaten, sogar dem großen Nachbarn Frankreich, schienen ja an der deutschen Trägheit so gar nicht zu rütteln. Stattdessen wurde wiederum an einem weiteren Bröckchen gefrickelt: 23 von 54 noch bestehenden diskriminierenden Gesetzen sollen nun angepasst werden. Der Rest bleibt im Keksglas ganz oben auf dem Schrank; wir wissen ja inzwischen, weshalb. Es schien ewig so weiterzugehen.

Doch dann sagte das Auenland „ja“, und plötzlich bebte Mittelerde. Offenbar musste erst ein als besonders religiös und überhaupt irgendwie hinterwäldlerisch geltendes kleines Land am deutschen Überlegenheitsgefühl kitzeln. Homos diskriminieren, gut und schön, aber von harfezupfenden Schafshirten überholt werden, so geht’s nicht. Es rauschte in den Parlamenten, in den Medien, überall. Die Zahl der Politiker*innen, die noch nie etwas dringlicher erstrebt hatten als die „Ehe für alle“, keine Menschenrechtsverletzung je schmerzlicher empfunden als die Diskriminierung der Homosexuellen, sie steigt seitdem stündlich.

Und ich, ich staune.

Nicht darüber, dass die Union, die es noch nie großartig irritiert hat, auf die Grundgesetzwidrigkeit ihrer Politik hingewiesen zu werden, sich ausgerechnet wieder hinter dem Grundgesetz verstecken zu können meint. Nicht über das hörbare Schweigen der SPD-Parteispitze. Nicht über die Gesetzesvorlagen-Spielchen der Grünen und Linken oder darüber, dass sich die AfD wie gewohnt an der Grenze zur Volksverhetzung entlangtastet. Das kenne ich alles.

Nein, ich staune über mich selbst. Zum ersten Mal erscheint es mir vorstellbar, dass der Staat, zu dem ich gehöre, mich tatsächlich mitmeinen könnte, wenn er sagt: „Alle Menschen sind gleich.“ Zum ersten Mal im Leben denke ich ernsthaft darüber nach, was es für mich bedeuten würde, wenn die Mehrheit der Gesellschaft ihre Abwertungen, ihre bigotten Lügen, ihre Halbherzigkeit überwände und aus vollem Herzen und echter Überzeugung ja sagen würde: zu meiner Art zu lieben, zu leben, zu sein wie ich bin.

Und ich merke: Ja, das würde etwas für mich verändern. Ganz unabhängig von der Ehe. Es würde sich anders anfühlen, in dieser Gesellschaft zu leben. Es wäre ein Unterschied, das Gefühl von Gleichheit und Respekt nicht als eine vage Hoffnung für die Zukunft vor mir herzutragen, sondern es jetzt schon spüren zu können. Das Gefühl zu haben, in einem wirklich zivilisierten Land zu leben.

Es würde natürlich nicht die Homofeindlichkeit all meiner Mitmenschen mit einem Schlag beenden. Aber es wäre ein Unterschied, ihre Beleidigungen und Scheinargumentationen anzuhören und dabei denken zu können: „Schätzchen, dein Gequassel hat glücklicherweise nicht mehr die Macht, mein Leben mehr zu beeinflussen, als ich selber zulasse. Die Minderheit, das bist jetzt du, und das wissen wir beide.“

Noch mehr als ich selbst würden vielleicht andere Menschen den Unterschied spüren: Lesben und Schwule im Coming-Out, denen das Signal, wirklich ausdrücklich als vollwertige Menschen dazuzugehören, unschätzbar wichtig sein könnte. Die älteren Schwulen, deren Existenz dieser Staat noch lange nach dem Krieg mit seiner homofeindlichen Nazi-Gesetzgebung ruiniert hatte und denen das Gefühl, nun endlich als gleichwertige Bürger leben und irgendwann sterben zu können, viel bedeuten würde.

Es geht nicht nur um die Ehe. Es geht um das Signal, dass in diesem Land wirklich alle Menschen gleiche Rechte, Würde und Respekt verdienen. Dafür hätte sich der ganze Ärger gelohnt.

Ich erschrecke darüber, wie sehr ich mich daran gewöhnt habe, dass das bisher immer noch nicht so ist. Wie sehr es zu meinem alltäglichen Lebensgefühl geworden ist, Rechte, Würde und Respekt noch immer täglich abgesprochen zu bekommen, nicht nur von so vielen meiner Mitmenschen, sondern ganz offiziell vom Staat. Ja, es würde etwas verändern, wenn das endlich aufhörte.

* * *

Und ich wäre gespannt darauf, was nach der Eheöffnung passiert. Endlich könnten wir uns mehr auf all die anderen Projekte konzentrieren: Die Schulaufklärung, die Rechte von trans Menschen, Intersexuellen, queeren Migrant*innen, die Aneignung des öffentlichen Raums, Projekte für obdachlose queere Jugendliche, der Heterosexismus im Allgemeinen … Vielleicht würden einige von uns dann erst bemerken, dass nach der rechtlichen Gleichstellung immer noch jede Menge Arbeit vor uns liegen wird. Arbeit, für die wir dann mehr Zeit und Energie frei haben werden.

Gespannt bin ich auch darauf, wie viele von den Menschen, die jetzt ihr Glück an der Steuererklärung ablesen zu können meinen, dann noch an meiner Seite marschieren werden. Ich hoffe, es werden sehr viele sein.

Denn Glück macht doch solidarisch, nicht wahr?

41 Kommentare zu “Das Paarprivilegien-Projekt: Fast wie richtige Menschen

  1. Seit einiger Zeit verlinke ich übrigens unter „Neulich aufgepickt“ (linke Leiste) Artikel anderer Autor*innen, die ich besonders interessant finde, weil sie mir neue Perspektiven erschließen. Schaut gelegentlich mal rein, wenn ihr mögt.

  2. „Homos diskriminieren, gut und schön, aber von harfezupfenden Schafshirten überholt werden, so geht’s nicht.“

    Tränen gelacht! Es ist sagenhaft, wie du es immer schaffst, in ernste Themen solche Brüller einzubauen, ohne das Thema zu verdünnen. Politisch zu schreiben mit literarischer Leichtigkeit ist schon eine Kunst. — Einmal mehr ein fantastischer Artikel mit vielen durchdenkenswerten Aspekten.

  3. Wie schön, wieder etwas von dir zu lesen! Ich finde mich an vielen Stellen des Textes wieder. So ist mir beispielsweise in letzter Zeit auch oft die Argumentation von Eheöffnungsbefürworter_innen unangenehm aufgestoßen, Deutschland müsse die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnen, um im europäischen Vergleich nicht ins Hintertreffen zu geraten. Mir ist es dabei herzlich egal, was Deutschland im Hinblick auf die rechtliche Anerkennung queerer Menschen international für einen Ruf hat und ob andere Länder es – berechtigter Weise – als rückständig ansehen. Die Öffnung der Ehe sollte nicht deshalb vertreten werden, weil man Angst hat, sein liberales weltoffenes Image zu verlieren bzw. als rückständig zu gelten, oder gar der Wirtschaft zu schaden, sondern weil eine Ungleichbehandlung hier schlicht ungerecht und vor allem verfassungswidrig ist. Alles andere dient meiner Ansicht nach eher dem Zweck, sich einen toleranten Anstrich zu verpassen. Die Öffnung der Ehe wird so für eigene Zwecke instrumentalisiert, und man profiliert sich auf dem Rücken von gleichgeschlechtlichen Paaren. Ich verwahre mich aber dagegen, dass die Frage, wen ich liebe ich begehre, als Munition im Positionierungsgerangel missbraucht wird…
    Alles Gute weiterhin.

    • Ein wichtiger Aspekt. Die Instrumentalisierung geschieht ja von mehreren Seiten gleichzeitig, sowohl pro als auch contra. Irgendwie ist das ja sogar normal; ich vermute, dass das bei den meisten politischen Entscheidungen ähnlich abläuft. Mir ist ehrlich gesagt erst in letzter Zeit immer deutlicher geworden, dass mich diese Instrumentalisierung bei der Ehefrage, obwohl ich bis auf Weiteres nicht die Absicht habe, eine Ehe einzugehen, trotzdem nicht vollkommen kalt lässt.

      Ja, es fühlt sich seltsam an, dabei zuzusehen, wie die eigenen Rechte zu Spielkarten in den Händen von Politiker*innen werden, denen es zum Teil überhaupt nicht wirklich um Gerechtigkeit geht und schon gar nicht um mein Leben, sondern nur darum, sich politisch zu profilieren, Stimmen zu fangen, die Gegenseite bloßzustellen usw.

      Vor wenigen Jahren hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass die Rechte queerer Menschen einmal eine solche politische Bedeutung bekommen würden – gerade, was diese Instrumentalisierungen angeht.

  4. Das Warten auf einen Kommentar Deinerseits hat sich gelohnt, werter Zaunfink. Hervorragend gepiffen, gezwitschert und geträllert!

    Ich habe allerdings bei Frau Kramp-Karrenbauer das Gefühl, dass sie sich wirklich darum sorgt, was als Konsequenz aus der Öffnung der Ehe ihrem kleinen Spießerparadies noch alles zugemutet werden wird. Nach meiner Erfahrung haben Konservative ein gutes Gespür für Schuld und Fehlverhalten, insbesondere ihr eigenes. Sie müssen sich nämlich ständig darauf prüfen, ob sie ihrer kleinbürgerlichen Moral auch gerecht werden. Und tief in ihrem Inneren, in ihren dunkelsten Träumen ahnen sie, dass sie keinen Deut besser sind, als ihre Vorfahren, die den Frauen das Wahlrecht vorenthalten haben oder Menschen wegen ihrer Hautfarbe diskrimiert haben und dies auch weiterhin tun.

    Und sie wissen, dass der Tag kommen wird, an dem sich die Freiheit aus dem Gefängnis der Spießer befreien wird. Sie unternehmen daher alles, um ihn nicht selbst erleben zu müssen. Und sie beten, dass auch ihre Kinder ihn nicht erleben.

    Und ich stimme Dir hundertprozentig zu, dass die Eheöffnung nur eine Etappe auf dem Weg zu Freiheit und Gleichheit ist. Und dazu wird auch die Öffnung der Ehe für drei oder mehrere Personen gehören.

    • Die Frage, ob homofeindliche Menschen insgeheim ahnen, dass sie schief liegen, finde ich sehr interessant, Yorick. Ich neige ja dazu, diese Frage zu erweitern auf so eine Art allgemeinen „Freiheits-Neid“, der nicht nur das Thema Sexualität betrifft. Aber dazu sind meine eigenen Gedanken noch zu ungeordnet, um das richtig in Worte zu fassen.

      Vielleicht hat dazu ja noch jemand anders Ideen, es würde mich jedenfalls sehr interessieren.

  5. Wieder super geschrieben.
    Ich würde dich gerne mal erleben im Streitgespräch mit so überaus liebenswerten Zeitgenossen wie Birgit Kelle oder Gabi Kuby.

      • Es wäre immerhin ein Dienst an der Menschheit…

        Warum scheint es niemanden zu geben, der diesen Schadenbringerinnen live und in Farbe, vor laufender Fernsehkamera, ihre hirnverdrehenden Ungeheuerlichkeiten Punkt für Punkt um die Ohren haut, ohne Ausflüchteleien?!?
        Allein ein Buchtitel wie „Gendergaga“ ist doch ein gossenhaftes Hämischmachen, ein Abzielen auf die niederträchtigsten Persönlichkeitsanteile des Mobmenschen. Wie kann so jemand in Fernsehen und Radio eingeladen werden, ohne daß ausdrücklich von Moderatorenseite auf die zweifelhafte sittliche Reife solcher Diskussionsteilnehmer hingewiesen wird?
        Übrigens, beim Thema religiöselnder Spinner fällt mir immer auf, daß auch diesen Typen niemand die Ohren langzieht, wenn sie das Verbot homosexueller Handlung mit „Gott“ begründen. Man müßte ihnen vor den Latz knallen, daß „Gott“ nicht einfach nur ein Verbot diesbezüglich gesetzt hat: Es ist nämlich ausdrückliche Handlungsanordnung „Gottes“, entsprechende Menschen zu TÖTEN. Damit diskreditiert sich dieser „Gott“ als Superarschloch, und die Bibeltrampel müßten sich beschämt schleichen.

        • Während bei anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit inzwischen meist ein relativ klarer Konsens herrscht, dass diese geächtet werden sollte, gilt bei Homofeindlichkeit immer noch: Ob Homosexuelle gleichwertige Menschen sind oder nicht – das kann man halt so oder so sehen. Unsere Würde wird in den Medien zugunsten quotenträchtigen Krawalls geopfert, da ist eine sachliche Diskussion gar nicht das Ziel.

          Deine Argumentation hinsichtlich „Gottes Wille“ gefällt mir. :-)

        • Im Leviticus steht letzten Endes auch, dass heterosexuelle Paare sterben sollen, wenn sie während der Blutung der Frau Sex haben … ich frage meine Schwestern und Brüder dann gerne mal, ob sie das so auch befürworten und 1 zu 1 wörtlich nehmen möchten.

        • „ein Abzielen auf die niederträchtigsten Persönlichkeitsanteile“

          Ganz richtig, Peter Friedrich, zumindest im Falle von Birgit Kelle sehe ich da auch extreme Profilerungssucht, das Ausnutzen der einmaligen Chance auf Geld und Karriere (wogegen sie ja eigentlich ganz doll ist). Ich finde das nahezu schizophren, Geld und Karriere damit zu machen, öffentlich zu verkünden, dass Geld und Karriere für Mütter ganz pfuibähbäh sind (vor einiger Zeit habe ich mal auf ihrer eigenen Seite gelesen, wie oft sie auf Vermarktungstour für ihre Bücher ist – ich würde mal sagen, das ist ein Vollzeitjob). Sie hat ja ursprünglich alle Ausbildungen abbgebrochen und nutzt jetzt halt für sich diese Chance u. a. auf Kosten von ohnehin schon diskriminierten Minderheiten wie LSBTTIQ.

          Ich sage immer, wenn ich so richtig unmoralisch sein könnte, könnte ich für uns die Kasse ordentlich klingeln lassen mit einem neokonservativen Buch. Bücher von Frauen zumal „jungen Müttern“ in die Richtung „gegen Gleichmacherei“ für die „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“-Klientel ziehen leider enorm.

      • Fänd ich auch gut. Ich wundere mich immer wieder, wie auffallend wenig den beiden (samt Konsorten) öffentlich Paroli geboten wird. Glaube auch, dass das Du das gut hinkriegen würdest. Wie wär’s ;-).

  6. Ich hatte mich gefragt, wann Du Dich zu diesem Thema zu Wort melden würdest. Reflektiert, eloquent und unterhaltsam, gut recherchiert und stringent – ich lese nicht häufig derart gute Texte! Ich merke immer, dass wir einer Meinung sind, und dennoch bringst Du mich zum Nachdenken. Und wie Du sagst – es kann nicht darum gehen, unsere wunderbare Buntheit auf ein konservatives Lebensmodell zu reduzieren. Aber es geht darum, die Wahl zu haben und althergebrachte rechtliche Benachteiligung, deren Gründe sich inzwischen nur noch aus einem tumben Unwohlsein und guilty-by-association-Konzepten („Lasst unsere Kinder in Ruhe!“) nähren, zu beenden.

    Danke für den Beitrag & very well done.

  7. Kompliment, wie immer ein sehr scharfsichtiger Text. Ich hatte auch schon die ganze Zeit gelauert, was du wohl zu diesem Thema schreibst.

    Natürlich kann man so argumentieren, wie Herr Spahn, ich glaube aber nicht, dass seine Analyse zutreffend ist. Trotz aller Bürgerlichkeit ist das Projekt Standesamt nämlich subversiv. Nichts ist geeigneter, die herrschende Heteronormativität nachhaltiger zu erschüttern. Der Witz ist ja, dass Eheleute künftig nicht mehr automatisch heterosexuell markiert wären. Wer sagt, er sei verheiratet, müsste sich künftig immer fragen lassen, ob mit einem Mann oder einer Frau. Auch die Kirche könnte nicht mehr diskriminieren, schließlich erfährt der Arbeitgeber nicht, welches Geschlecht ein Ehepartner hat. Das wissen die Goppels und Kramp-Karrenbauers dieser Welt, und deshalb verteidigen sie auch die Festung der Hetereonormativität mit Klauen und Zähnen. Frau Kramp-Karrenbauer hat aus ihrer Perspektive nämlich gar nicht so Unrecht – die geliebte Ordnung wäre dahin.

    Deshalb ist übrigens auch der Begriff „Homo-Ehe“ Mist, denn er schreibt die Markierung fort. „Ehe für alle“ trifft es zwar auch nicht, aber Medien verlangen wohl kurze Begriffe. Wenn damit die „Öffnung der Institution Ehe für gleichgeschlechtliche Paare“ gemeint ist, soll mir der Begriff recht sein.

  8. „Mich ärgerte auch die Entsexualisierung der Bilder homosexuellen Lebens.“

    Hmmm, ist das denn tatslchlich ein Nachteil? ich meine, wenn im Kinderbuch von Mama und Papa die Rede ist oder im Film eine Ehepaar dargestellt wird, denkt doch auch nicht jeder gleich „Oh, die beiden haben Sex“. Ich als bisexueller Mensch kann es sogar ganz explizit nicht leiden, dass meine Partnerschaft(en) (sobald von meiner „Neigung“ die Rede ist) immer unter diesem Aspekt gesehen werden, also stark sexualisiert.

    • Da stimme ich dir vollkommen zu, Margret. Was mich stört, ist die Haltung „Wenn wir akzeptiert werden wollen, müssen wir genau so verklemmt werden wie wir uns das bei den Heteros vorstellen und am besten gar nicht mehr über Sex reden, schon gar nicht dann, wenn er außerhalb einer monogamen Beziehung stattfindet.“ Auch die betont erotikfreudigen Inszenierungen beim CSD werden ja regelmäßig angegriffen, weil das angeblich die Akzeptanz mindert. Und das finde ich ziemlich ärgerlich, dumm und kurzsichtig. Es ist meiner Meinung nach nicht hilfreich, unsere Sexualität ängstlich zu verstecken, wenn wir wollen, dass sie akzeptiert wird.

  9. Übrigens ist das was Frau Kramp-Karrenbauer angesprochen hat, tatsächlich juristisch nicht von der Hand zu weisen und damit auch tatsächlich ein relevantes Gesprächsthema. Die Frage muss lauten, wie genau wir Ehe definieren. Was ist Voraussetzung für eine Eheschließung? Ist es die Liebe? Sind es Kinder (dann aber dürfte auch in hetereosexuellen Partnerschaften die Ehe erst mit dem ersten Kind geschlossen werden)? Ist es schlicht und einfach der erklärte Wille, einen einem wichtigen Menschen zum Verwandten machen zu wollen?

    Je nach Definition beträfe das dann durchaus auch die Ehe zwischen Geschwistern und polyamore Ehen. Das muss möglichst wert- und vorurteilsfrei durchgesprochen werden.

    • Das zeigt sich zum Beispiel auch bei dem absurden Verdacht „Scheinehe“. Was bitte soll das sein? Wer will mir vorschreiben, aus welchen Motiven ich heirate, und wie ich das Zusammenleben gestalte?

      • Prinzipiell ist das so. Aber es herrscht derzeit (und nicht erst seit der „Homoehe“) eine ziemliche Unklarheit darüber, was Ehe genau bedeutet. Da müsste man ansetzen und neu definieren. Es stellt sich (und das auch völlig ohne „Homoehe“) die Frage, wie mit polyamoren Beziehungen umgegangen wird sowie z. B. mit Geschwisterbeziehungen. Das ist aber eine Frage, die man sich ohnehin stellen muss, seit der Grundgededanke der Ehe nicht mehr in der Verbindung zweier Familien zur herstellung von Verwandtschaftbeziehungen liegt.

        Ich muss sagen, dass ich, was das betrifft, sehr konservativ denke und ich mir die Ehe schlecht als Verbindung zwischen mehreren Personen vorstellen kann. Und auch bei der Geschwisterverbindung habe ich Bauchweh. Dieses Bauchweh habe ich aber so gar nicht bei der Mann/Mann Frau/Frau-Ehe. Aber gerade in meinen eben konservativen Kreisen wird mir gerne vor den Latz geknallt, ich müsse dann zwangsläufig auch für die „Vielehe“ und die inzestuöse Ehe sein (auch für die zwischen Eltern und Kindern), wenn ich als Hauptvorausetzung für eine Eheschließung den erklärten Willen beider Partner sehe, füreinander Verantwortung tragen zu wollen und sich deshalb in den Stand von Verwandten ersten Grades setzen zu wollen.

        Bei der Vielehe sehe ich z. B. das Problem darin, dass man das rechtlich letzten Endes unbeschränkt öffnen müsse, was ein schon kaum zu stemmender Verwaltungsaufwand wäre. Dazu kommt noch, dass der Exklusivitätscharakter verloren geht. Verwandte ersten Grades sind normalerweise eben nur Kinder und Eltern und, juristisch, die Ehepartner. Wenn nun Person A mit Personen B; C; D verheiratet wäre, wäre Person B vielleicht mit person A, F und E verheiratet und Person E mit mit den personen G; H, I und K diese wiederum … Und damit ginge der Grundgedenke der Ehe, die exklusive Verbindung mit einem anderen Menschen zum Zwecke gegenseitiger Verantwortung eigentlich völlig verloren.

        Allerdings ist das tatsächlich schwer zu verargumentieren.

  10. Ein sehr schöner differenzierter Artikel !
    Das Elixier für mich aus dem Artikel – die Aussage:
    Auch wenn die Ehe ein reaktionäres Konstrukt für einige aus der LGBT-Community sein mag, hat eine Gleichstellung in Bezug auf die Möglichkeit der Heirat unabhängig dazu, ob man die Ehe gut findet oder nicht, die Folge, dass LGBT auch insgesamt, auch, diejenigen, die die Ehe dann für sich gar nicht nutzen wollen, einen stark antidiskriminierenden Effekt.

    Es gibt noch ganze andere Blickwinkel zum Ehefüralle-Diskurs,
    den ich hier aufgezeigt habe, mit der Aussage:
    Es geht nicht um Homosexualität, sondern um Genitalismus.
    Ein etwas längerer Artikel, den ich hier daher gerne als LINK bereitstellen möchte:
    http://freeyourgender.de/forum/viewtopic.php?f=331&t=807&p=1580#p1526

  11. @ Fink Ich hatte in den letzten Tagen 3 scharfe Diskussionen zum Thema „Ehe für alle“(die immer auch zu „Gender Gaga“ führten). Ich bin jetzt um eine Freundschaft ärmer und habe wohl meinen Ruf als „Familienfeindin“ weg. Das liegt sicher auch stark an dem eher konservativ geprägten Umfeld (kirchlich) in dem ich mich bewege.

    Der langen Rede kurzer Sinn: Mich würde interessieren, wie genau Du argumentierst, wenn wieder dieses unsägliche „Beschneidung der Meinungsfreiheit“ kommt. Angeblich würden Lehrer gerügt oder versetzt, die sich vor der Klasse gegen „Ehe für alle“ positionieren. Menschen, die bei der „Demo für alle“ mitgehen bedroht etc. pp. Und natürlich Frauen „gezwungen“ arbeiten zu gehen. Ehrlich gesagt kann ich das gar nicht mehr hören, dieses Einforden von Akkzeptanz gegenüber der eigenen Nicht-Akkzeptanz. Was antwortest du in solchen Fällen?

    • Knifflig, Margret, da kann ich auch nur versuchsweise antworten.

      Manchmal helfen Vergleiche, z.B. die Frage, ob man es auch als schreckliche Diskriminierung sehen würde, wenn ein*e Lehrer*in dafür gerügt wird, wenn er*sie antisemitische oder sexistische Aussagen vor der Klasse rausdrischt. Oder ob man in einer Demokratie ganz ergebnisoffen darüber diskutieren können muss, ob Frauen oder Schwarze die gleichen Rechte haben sollen. Meistens kommt dann „Ja, das ist ja was anderes.“ Da kann man dann nachfragen, was genau da denn so anders sei, dann liegt der Ball auf der anderen Seite.

      Die meisten Menschen haben gelernt, zumindest einige Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu erkennen und abzulehnen; daran kann man anzuknüpfen versuchen. Klappt aber natürlich auch nicht immer.

      Wichtig finde ich es, klarzumachen, dass es nicht um eine Diskussion auf Augenhöhe geht. Da steht nicht einfach Meinung gegen Meinung, nach dem Motto, der eine ist halt dafür und die andere dagegen. Es ist ein Unterschied, ob ich eine Meinung kritisiere oder ob mir jemand die Freiheit abspricht, mein eigenes Leben zu leben oder sie*er mir Rechte vorenthalten will. Das sind völlig verschiedene Ebenen. Außerdem müssen wir eindeutig zwischen Angriff und Verteidigung unterscheiden.

      Aber das weißt du vermutlich alles schon… Womit hast du denn positive Erfahrungen gemacht?

      • In diesem Punkt sehr schwierig und wenig positive. Klar, ich habe auf andere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aufmerksam gemacht, das wurde entweder empört abgelehnt und auf die moralische Schiene geschoben („kann man ja gar nicht vergleichen, wie kannst du nur …“) oder bestätigt („Männer und Frauen sind einfach völlig unterschiedlich, da kann ein Lehrer ruhig was dazu sagen“). Die wenigsten sind ja tumbe Hasser sondern sehr vorsichtig (und dennoch nahezu fanatisch). Es geht dann mehr in Richtung „man soll Ungleiches nicht gleich machen, die dürfen ja lieben, wen sie wollen, aber eine Ehe ist das doch nicht, sondern etwas vollkommen anderes“ oder „Mann und Frau sind eine Einheit, sie ergänzen sich in ihren Eigenschaften und körperlichen Merkmalen, darum können zwei Männer oder zwei Frauen niemals heiraten“ oder eben das Kinderargument (hier antworte ich meist, dass man dann hereosexuellen Paaren auch die Ehe verbieten müsste, bis eine Schwangerschaft vorliegt). Es wird dann argumentiert, dass Homosexualität ja „okay“ wäre, aber eben doch so völlig „anders“ und wenn schon Partnerschaft, dann müsse man dafür „andere Formen“ finden bzw. die gäbe es ja bereits. Adoption wird abgelehnt wegen besagter „Andersartigkeit“ und weil ein Kind „beide Anteile“ als Vorbild brauche, männliche und weibliche. Meistens kommen sie dann mit irgendwelchen Einzelbeispielen von Jungen (interessanterweise immer Jungen), die schwer geschädigt wurden durch die Erziehung durch zwei Frauen oder zwei Männer um die Ecke. Das Ganze hängt immer sehr eng zusammen mit stereotypen Rollenvorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit (siehe auch Frau Kelle, mit deren Anhängern gerate ich interessanterweise fast immer aus dem evangelisch-freikirchlichen Bereich aneinander, sehr selten Katholiken).

        Und weil man ja Homosexuelle so anerkennt wird dann eben Akkzeptanz für diese Meinung eingefordert.

        • Ergänzend: Akkzeptanz für den ganzen Sermon an „Meinung“, den ich oben beschrieben habe. Oft leider doch nicht mehr als „ich bin der Meinung, dass Dunkelhaarige ganz anders sind als Blonde und darum sollen sie bitte „andere“ Rechte haben als Blonde. Z. B. müssen sie doch nicht dieselben Busse benutzen. Das diskriminiert sie doch nicht, das ist einfach ANDERS.“

    • @margretandfriends

      „Ehrlich gesagt kann ich das gar nicht mehr hören, dieses Einforden von Akkzeptanz gegenüber der eigenen Nicht-Akkzeptanz.“

      Genau das geht mir auch auf den Senkel. Diverse Leute äußern sich negativ bis abfällig über Homo- bzw. Transsexualität, und fordern dann die allgemeine Meinungsfreiheit ein. Ich kann sowas nicht akzeptieren.

      Ich bin mit einem Ehepaar befreundet, dass ein zweijähriges Kind hat, einen Jungen. Ich fragte sie mal, was passieren würde, wenn er irgendwann ein Coming-Out hätte. Sie sagten zwar, dass sie ihn immernoch lieben würden, aber sie auch definitiv darüber nachdenken würden, was sie in der Erziehung falsch gemacht haben. Ja, sie sind offenbar wirklich davon überzeugt, dass Homosexualität durch Fehler anerzogen werden kann. Für sie ein gutes Beispiel, dass Homosexualität nicht normal sein kann: Viele lesbische Frauen treten maskulin auf, während viele schwule Männer etwas weiblichen an sich haben. Warum also verlieben sich dann schwule Männer mit femininen Attributen ineinander, wenn sie doch eigentlich auf das Männliche stehen? Ich wusste echt nicht, was ich dazu sagen sollte, aber ich stand auch kurz davor, einen Streit zu provozieren, weil ihre ihre Einstellung total ägerlich und dumm finde. Mir tut der kleine Junge leid, wenn er tatsächlich schwul wird und das seinen Eltern „beichten“ muss. Aber zum Glück hat er eine liebevolle Tante, die das alles sehr viel lockerer sieht, und an die er sich wenden kann, wenn er nicht so wird, wie die Eltern es wünschen.

    • Ich weiß ja nicht, ob Frau Merkel sich wirklich die Zeit nehmen wird, deinen Brief zu lesen. Aber es ist zumindest eine schöne Vorstellung, dass sie sich tatsächlich mal einen Moment lang auf deine zutiefst menschliche Perspektive einlassen könnte.

  12. Wieder mal richtig gut geschrieben, super zum Nachdenken und mit einigen Gedankengängen, die mir ähnlich im Kopf rumgehen, die ich aber lange nicht so eloquent formuliert bekomme.
    Du schreibst: „Natürlich steht die Ehe heute nicht mehr ausschließlich für die eingehegte, monogame, auf Reproduktion angelegte Sexualität, für die sie früher einmal stand. All diese Zumutungen und Normen lungern aber immer noch in direkter Nähe von Standesämtern und Altären herum und warten ab, ob sie sich im Rahmen eines konservativen Rollbacks nicht doch wieder dauerhaft einnisten dürfen. Und ich glaube durchaus, dass die Bilder von (scheinbar) treuen, monogamen, nun endlich “fest gebundenen” schwulen und lesbischen Paaren auch deswegen so abgefeiert werden, weil man in ihnen die endlich geglückte Zähmung der einstigen Wilden erblicken kann, wenn man das möchte.“
    Und das ist auch so ein bißchen das was mich immer abschreckt. Verstehe mich nicht falsch, ich bin gerne dafür, dass heiraten darf wer heiraten will konfrontiert einen (zumindest zur Zeit) auch immer wieder mit den dazu passenden Schubladen. Ich selbst habe als pan-Frau einen Mann geheiratet und habe manchmal schon das Gefühl dadurch irgendwie „unfreier“ geworden zu sein. Im Hinblick auf das, was die Erwartungen anderer an mich betrifft. War es vorher ok pan zu sein, muss ich jetzt ja wohl plötzlich hetero sein, weil ich habe ja einen Mann geheiratet. Außerdem natürlich das übliche wie monogam, zurückhaltend, verklemmt und am besten auch noch sexarm bis sexfrei.
    Irgendwie wird erwartet, dass die Ehe einen „ent-sext“. Ist das wirklich ein Ziel?

    Aber ich bin dann natürlich auch ein bißchen selbstsüchtig optimistisch und hoffe, dass wir alle zusammen auch einfach diese „eingeengte, monogame … Sexualität“ von der Ehe entkoppeln können! Das die Ehe nicht mehr dazu „dient“ uns alle zu „entsexualisieren“ und zu „zähmen“!
    Und ganz ehrlich, dabei wünsche ich mich schon manchmal etwas Unterstützung. ;)
    Aber ein kann ich allen sagen, die sich eine Ehe überlegen, und zwar völlig unabhängig von Sex, Gender, sexueller Orientierung oder irgendwelchen anderen Merkmalen: Warum willst du heiraten und was bedeutet das für dich? Und denke immer daran, dass das nicht immer das gleiche ist was andere darin sehen.

    Irgendwie läuft es doch immer wieder auf etwas ähnliches hinaus. Wenn meine Vorstellungen und die Erwartungen anderer an mich nicht übereinstimmen entsteht ein Spannungsfeld. Und dann muss ich wissen ob ich mich in dieses Spannungsfeld begeben möchte.
    Aber dafür muss ich mich auch erst einmal in dieses Spannungsfeld begeben dürfen!

    • Hallo feather, ehrlich gesagt hatte ich mir bisher nie so viele Gedanken um die Innenperspektive von Verheirateten gemacht, deshalb ist es ganz prima, dass du die hier mal beispielhaft ergänzt.

      Zum Thema „Zähmung / Entsexualisierung“ fällt mir ein, wie ich einmal eine Hochzeits-Glückwunschkarte kaufen wollte und dabei auf eine Umenge von Motiven stieß, die nicht nur grausigsten Sexismus reproduzierten, sondern oft auch mit „lustigen“ Metaphern von Handschellen, Gefängnissen usw. spielten. Ich war lange nicht mehr bei einer Hochzeitsfeier, aber ich vermute, dass es immer noch sehr verbreitet ist, allerlei Scherze über das „Ende der Freiheit“ zu machen, das mit der Eheschließung eintritt.

      Die Vorstellung der Ehe als Zähmungs-Institution ist vielleicht immer noch viel lebendiger als wir uns das wünschen können. Und ja, du darfst dir Unterstützung dabei erhoffen, das zu ändern. Aber das wird schwierig. Ich glaube, dass so zentrale Rituale nur sehr langsam ihre symbolische Aufladung verschieben können. Die Frage, die sich mir da stellt ist, ob es nicht leichter wäre, eine weitere Institution an die Seite der Ehe zu stellen, die solche Zuschreibungen von vornherein nicht – oder nur weniger – enthält. Ich denke da z.B. mal wieder an das französische PACS-Modell.

      Wäre das für dich z.B. statt einer Ehe in Frage gekommen?

      • Ja, das wäre es vermutlich! Denn das was ein PACS regelt ist eigentlich genau das, warum ich damals geheiratet habe.
        Was deine „Hochzeits-Glückwunschkarten-Erfahrungen“ angeht kann ich dir leider nur zustimmen. Manche (und für meinen persönlichen Geschmack viel zu viele) Menschen sehen eine Ehe als „Freiheitsentzug durch den Ehepartner“ und getreu dem Motto „Wenn es mir damit schlecht geht soll es dir auch schlecht damit gehen“ wollen sie das dann gerne auf andere übertragen (auch wenn ich nicht verstehe, warum sie dann überhaupt heiraten, aber ich bin schließlich nicht für ihre Zufriedenheit zuständig) . Ich habe diesen Unfug der „lustigen Freiheitsentzugs-Methaphern“ bei meiner Heirat nicht zugelassen, was aber nicht bei allen auf Verständnis traf (Motto siehe oben).
        Deswegen ist die Frage durchaus sinnvoll: „können wir etwas bestehendes neu definieren“ oder „wollen wir etwas neues schaffen“. Die Bedürfnisse sind da sicherlich verschiedenen. Etwas nicht zu machen (z. B. heiraten), weil man nicht will ist schließlich was ganz anderes als es nicht zu machen weil man nicht darf. Und auch für eine Alternative (z. B. PACS) kann man sich nur frei entscheiden, wenn man überhaupt Alternativen hat zwischen denen man wählen darf.
        Insofern wäre es schon sehr wünschenswert oder eigentlich unabdingbar, dass alle Paare (sofern volljährig und freiwillig) die Ehe wählen können wenn sie das denn wollen. Ich hoffe nur, dass dies Vielfalt gelebter Partnerschaften nicht zerstört sondern uns eher allen ein bisschen mehr Freiheit schenkt unsere Partnerschaft_en so auszuleben, wie sie zu uns und unseren Partnern passt und nicht nur so, wie das vielzitierte heteronormative Weltbild uns gerne weiß machen möchte.

        Und jetzt muss ich mich mal als nicht aktuell informiert zu erkennen geben : Gibt es aktuell eine Initiative in Richtung PACS für alle in Deutschland?

      • Wie sieht das den bei dir mit PACS aus?
        Du hast ja ziemlich eindeutig zu erkennen lassen, dass eine Ehe eher nicht so dein Ding wäre .
        Wäre deine Bereitschaft bei PACS anders?

        • PACS – käme darauf an, was in dem Päckchen drin wäre. Eine Wirtschaftsgemeinschaft mit meinem Freund strebe ich z.B. nicht an und würde mir die auch ungern aufpfropfen lassen, nur um ein paar andere Vorteile zu haben. Wenn überhaupt, fände ich aber eine deutlich entmythologisierte Variante besser als eine Ehe.

          Von aktuellen Bestrebungen, in Deutschland eine „Ehe light“ einzuführen, weiß ich nichts. Ich vermute, falls es die überhaupt mal gab, gingen sie im neuen Ehe-Biedermeier verschütt. Dazu müsste außerdem das BVerfG seine bisherige Einschätzung revidieren, wonach eine auch gemischtgeschlechtlichen Paaren offenstehende Alternative zur Ehe nicht grundgesetzwidrig sei. Die Klage gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz wurde ja u.a. deswegen abgewiesen, weil dieses Institut keine Konkurrenzveranstaltung zur „geschützten“ Ehe sei. Umkehrschluss: Ein deutsches PACS würde möglicherweise eine Grundgesetzänderung voraussetzen.

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  14. Ich habe die ausführlichen Kommentare nur zum Teil gelesen, wollte aber (bin zufällig hier gelandet) eine Selbstbeobachtung loswerden: Mir ist nämlich neulich aufgefallen, dass mir Sätze in der Zeitung wie „Er hat mit seinem Mann…“ immer weniger auffallen in dem Sinne, dass ich beim Lesen innehalte. Zunächst, also solche Formulierungen sich ausbreiteten, habe ich immer gestutzt, weil ich einen Fehler vermutete, um mir dann klarzumachen, dass da das steht, was da stehen sollte. Und mit der Zeit lese ich diese Sätze immer flüssiger – wohl auch, weil die entsprechenden Journalist/inn/en sie auch bewusst „normal“ verwenden. („Normal“ nicht im Sinne „einer Norm gehorchend“, sondern „nix besonderes“.)
    Das es noch dauern kann, bis diese Beobachtungen nicht für Leute wie mich, die sich selbst „irgendwie linksalternativ“ einordnen und Berliner Zeitung lesen, gelten, sondern auch für die durchschnittlichen Blödzeitungs-Leser, steht auf einem anderen Blatt.

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