Anlässlich des Attentats von Orlando hatte ich kurz überlegt, hier statt eines Textes nur eine Grafik zu veröffentlichen. Auf einen schwarzen Hintergrund hätte ich in Spektralfarben knappe Appelle plaziert wie „mehr Umarmungen“, „mehr Liebe“, „mehr Sichtbarkeit“, „mehr Solidarität“, „mehr Küsse“, „mehr Mut“, und so weiter. All die Dinge, die nun durch dieses Massaker bedroht wurden und all die Dinge, die die Gegner*innen eines freien Lebens, freier Liebe und einer freien Sexualität verachten, aus welcher Quelle auch immer sie diese Verachtung speisen. Ich hätte möglicherweise einen gewissen Wert darauf gelegt, auch Provokationen gegen die Freiheitsängste einiger Schwuler einzubeziehen, die z.B. mit bestimmten Formen von Sexualität oder Identität nicht klarkommen („mehr Fetisch“, „mehr Tunten“), aber das nur nebenbei.
Die Botschaft wäre eine gewesen, die wir jetzt wieder überall hören: ein trotziges „Jetzt erst recht!“ Und ich hätte damit genau das getan, was jetzt so viele tun: Ich hätte unsere Freiheit in den Dienst eines Kampfauftrags gestellt. Ich hätte die Farbigkeit unseres Lebens in einen schwarzen Raum hineingesperrt, mit der verdammten Pflicht, ihn zu erleuchten. Ich kann dieses „Jetzt erst recht!“ sehr gut verstehen. Es ist eine naheliegende, vielleicht sogar heilsame Reaktion auf eine Angsterfahrung.
Aber es ist gleichzeitig eine schreckliche Umwertung von Freiheit.
Es gehört zum inzwischen ritualisierten Umgang mit terroristischen Attacken, dass wir einander vor all den Dingen warnen, von denen „die Terroristen wollen“, dass wir sie jetzt tun. Überall müssen wir uns anhören, was wir jetzt tun müssen oder gerade eben nicht tun dürfen, weil sonst „die Terroristen schon gewonnen hätten“ oder gar, weil wir es „den Opfern schuldig“ seien. Und damit tun wir ironischerweise genau das, was die Terrorist*innen wirklich wollen, nämlich, unser Leben, unser Sprechen, unser Denken für einen recht ausgedehnten Zeitraum vollständig auf den Terrorismus und seine vermeintlichen Ziele zu konzentrieren. Wir übernehmen dabei eine Logik und Rhetorik der Angst und des Kampfes, und auch das ist genau so gewollt. Kaninchen, die auf Schlangen starren, sind aber auch dann nicht frei, wenn sie dabei sehr trotzig gucken. Sie sind höchstens, ja eben: trotzig, und Angst haben sie immer noch.
Schalten wir an dieser Stelle mal eine Stufe runter. Wir müssen nämlich nicht einmal den Terrorismus bemühen, um uns als Opfer von Angstlogiken zu erkennen. Längst haben wir den Arschlöchern dieser Welt einen Dauersendeplatz in unseren Hirnradios spendiert. Besorgte Bürger*innen, besorgte Eltern, besorgte Nazis – sie funken dort inzwischen in Dauerschleife. Das war natürlich kein plötzlicher, bewusster Entschluss, sondern hat sich langsam so eingeschlichen. Ich will nicht sagen, dass es nicht dringend notwendig sei, uns mit dem ringsum gärenden rechtspopulistischen, autoritaristischen und neofaschistischen Bullshit zu beschäftigen; das ist ja alles weißderhimmel bedrohlich genug. Aber es ist ja heute nicht mal mehr möglich, über Art déco oder Tulpensorten zu reden, ohne dass das Gespräch nach höchstens drei Umdrehungen schon wieder bei Frauke Petry oder dem Islamismus landet, idealerweise natürlich bei beidem. Da stimmt doch etwas nicht. Man kritisiert irgendein Problem, und schon kräht irgendwer: „Aber das größte Problem sind doch die Flüchtlinge, darüber müssen wir doch zuerst mal reden!“ Und schon tut man es, als sei das ganz normal. Selbst wenn es ausnahmsweise einmal eine wirklich positive Nachricht in die queeren Medien schafft, dauert es nur ein paar Minuten, bis jemand kommentiert: „Hurra, das wird die AfD / die Demo für Alle / Birgit Kelle / [setze hier irgendein Arschloch ein] aber schön ärgern!“ Man könnte sich auch einfach über die gute Nachricht freuen, aber lieber freut man sich, dass die sich ärgern.
„Die“ haben geschafft, was sie wollten: dass wir uns permanent ihre Köpfe zerbrechen, uns ihre Fragen stellen, ihre Themen diskutieren, ihre Ängste vorwegnehmen, uns gegen ihre irrwitzigsten Verschwörungstheorien auch noch ernsthaft verteidigen. Dabei hat sich eine Gedankenwelt des permanenten Kampfes, der Angst und der Bedrohung in unsere Köpfe, unsere Medien, unsere Gespräche eingenistet, eine Welt, in der nichts mehr leicht ist, sondern alles schwer. Es scheint, als würde jede noch so arglose Diskussion früher oder später in einen Mahlstrom der Brutalisierung, des Schwarzweiß, der eskalierenden Kriegsrhetorik von Nazikeule, Islamfaschismus, Genderkampf und wasweißich noch für martialischen Diskursen hineingesogen, in dem plötzlich alles erscheint, als ginge es nur noch ums nackte Überleben, und zwar auf Kosten der anderen. Wir oder die. In deutschen Köpfen ist Krieg, und wir haben uns total daran gewöhnt, diesen Krieg auch dann mitzudenken, wenn wir ihn nicht führen wollen.
Meinen von sehr wenig inhaltlicher Schwere belasteten Beitrag „Der Zauber des Dingsbums“ habe ich hier am 20. März veröffentlicht. Zwei Tage später sprengten in Brüssel zwei Männer sich und viele Opfer in die Luft, und mir schoss irgendwann kurz der Gedanke durch den Kopf, welche Reaktionen es hier gegeben hätte, hätte ich meinen fluffigen Beitrag erst an jenem Abend online gestellt. Da werden Menschen ermordet, und worüber schreibt der fink? Unmöglich! Der Anschlag hatte die Regeln des Sagbaren und Fühlbaren für mehrere Tage verschoben. Es sind schwere Zeiten, um ein leichtes Herz zu bewahren.
Diese Verschiebung setzt auch jetzt wieder ein. Was leicht sein sollte, wird von Schwere erschlagen. Hätte ich, wie oben beschrieben, in meiner Grafik zu Orlando Freiheit, Liebe, Respekt, Sichtbarkeit usw. vor den schwarzen Hintergrund der Angst und der Trauer gesetzt, so hätte ich diese Begriffe umgewertet. Ich hätte meiner Freiheit die Leichtigkeit genommen, die wirkliche Freiheit kennzeichnet. Ich will aber nicht deswegen als schwuler Mann sichtbar, fröhlich oder sogar verliebt sein, weil ich es damit irgendeinem schwulenfeindlichen Vollpfosten mal so richtig zeigen kann (der möglicherweise selbst schwul war und außerdem nun tot ist). Ich will es einfach sein, weil es sich richtig anfühlt und weil das beim Leben in einer freien Welt ganz selbstverständlich sein sollte, eigentlich jedenfalls. Ich will einem ideologisierten Verbrecher nicht die Definitionsmacht darüber überschreiben, auf welcher Grundlage wir über meine Freiheit reden, nämlich auf der Grundlage ihrer akuten, existenziellen Bedrohtheit.
Und hier müssen wir noch eine weitere Stufe runterschalten. Denn genau das, so wird an dieser Stelle klar, tue ich leider schon immer. Der Terrorist von Orlando schafft ja überhaupt keine wirklich neue Situation für queere Menschen, und auch die „besorgten“ Arschlöcher dieser Welt tun es nicht. Homo-, Bi- und Transfeindlichkeit, kleine und große Gewalttaten, die unsere Freiheit einschränken und jede Sichtbarkeit zu einem mehr oder weniger großen Wagnis machen, brechen ja nicht erst mit diesem Attentat in unser Leben ein. Es ist doch nicht neu, dass wir – als queere Bewegungen genau so wie als queere Einzelpersonen – um unsere großen und kleinen Freiheiten kämpfen, sie gegen Widerstände behaupten, sie täglich aufs Neue erringen müssen. Die Grafik, die ich nicht zeichne, weil ich einem brutalen Arschloch nicht das Privileg einräumen möchte, den Hintergrund meiner Freiheit zu bilden, zeigt doch eine unangenehme Wahrheit: Andere brutale Arschlöcher haben in Wirklichkeit schon immer diesen Hintergrund gebildet; der Terrorist von Orlando hat da nur eine besonders inhumane Einzelleistung abgeliefert. „Es hört nie auf für uns“, sagte ein Teilnehmer der Mahnwache für die Toten von Orlando am Stonewall Inn in New York, und wohl kein Ereignis als diese Mahnwache könnte die historische Kontinuität der Gewalt von damals bis heute eindrücklicher vor Augen führen. Schwule/queere Freiheit ist schon immer auch ein Kampf gewesen und ist es noch. Sie findet immer auch vor einem Hintergrund ihrer Infragestellung und ihrer Bedrohung statt. „Jetzt erst recht!“ ist eigentlich schon immer die Grundhaltung, mit der wir unsere Freiheit verwirklichen. Daran ist überhaupt nichts Neues.
Erst vor kurzem, vor dem Attentat von Orlando, las ich wieder den Aufruf eines Schwulen in einem Diskussionsforum, dass wir gerade jetzt, um es der AfD mit ihren unverhohlenen Tabuisierungs-Obsessionen und den ganzen Sexualaufklärungs-Paranoiker*innen zu zeigen, doch erst recht überall sichtbar werden müssten, in your face, motherfuckers! Ich gehöre selbst zu denen, die solche Appelle immer mal wieder herzlich unterstützen. Aber echte Freiheit sieht eben anders aus und fühlt sich anders an – leichter eben.
* * *
Wenn ich überlege, in welchen Momenten das vielleicht doch einmal anders war, dann fallen mir zuerst die Momente ein, in denen ich dermaßen verliebt war, dass die Welt mit all den Knallköppen da draußen dauerhaft in einem leuchtenden Nebel verschwamm. Die Hand meines Freundes war auch in der Fußgängerzone einfach nur die Hand des Menschen, den festzuhalten sich so unabweislich richtig und notwendig anfühlte, dass es fast außerhalb des Denkbaren lag, sie loszulassen. Ein Kuss am Bahnsteig war eine wunderbar spontane Geste der Nähe und Verbundenheit, kein kämpferischer Aktivismus, kein politisches Signal, kein bedrohtes schwules Kulturgut. Okay, das alles vielleicht auch, aber eben nicht in erster Linie. Da war keine Angst, jedenfalls kaum; diese Freiheit fühlte sich leicht an.
Und mir fallen ein paar queere Veranstaltungen ein, Feiern und Zusammenkünfte in Räumen, die wir uns selbst geschaffen hatten, um genau diese Leichtigkeit miteinander zu erleben. Wenn man die Trolle einfach aussperrt, können sie eben auch nicht im Hintergrund herumstehen und ihn einschwärzen. Zu diesen Räumen zähle ich auch die CSDs, die die Besonderheit haben, Leichtigkeit sogar in den öffentlichen Raum zu tragen, wo sie sonst ja leider meist besonders erschwert ist. Auch da konnte ich immer wieder Momente einer Freiheit erleben, die ich mir nicht erst selber ertrotzen musste, sondern die schon da war, um mich herum, geschaffen und getragen von all den anderen, und die sich so unbeschwert anfühlte wie es echte Freiheit nun einmal tut.
Der attackierte Club Pulse in Orlando war so ein Raum. Spektralfarben, die den dunklen Hintergrund zumindest für diesen Moment nach draußen verbannten.
Vielleicht ist das eines der Dinge, die viele Heterosexuelle nicht verstehen, wenn sie jetzt davon reden, dass in Orlando „unser aller“ Freiheit in genau der selben Weise angegriffen worden sei wie z.B. in Paris oder Brüssel. In Paris und Brüssel wurde die Freiheit von Menschen angegriffen, für die diese Freiheit größtenteils selbstverständlich war und inzwischen auch wieder ist. So ein Angriff ist schrecklich; ich will ihn sicher nicht verharmlosen. In Orlando aber wurde ein freier Schutzraum von Menschen angegriffen, die Freiheit und Sicherheit in ihrem gesamten sonstigen Alltag immer noch nicht selbstverständlich und durchgängig vorfinden. Wenn die wenigen Räume angegriffen werden, in denen wir ausnahmsweise einmal wirkliche Freiheit erleben und uns sicher fühlen können, dann wird uns auf eine ganz andere Weise mulmig als den Heterosexuellen, die sich beim U-Bahnfahren nun etwas unbehaglicher fühlen. Dann wird nämlich alles dunkel und schwer.
Wenn nun verschiedene – ausschließlich schwule – Autoren (Micha Schulze, Johannes Kram, Daniel Sander, Stefan Mielchen) einfordern, dass sich deutsche bzw. europäische Politiker*innen nicht nur zu „unser aller“ Freiheit, sondern auch explizit zur Freiheit der LGBTTIQ*-Community bekennen sollten, so klingt da unter anderem der sehr nachvollziehbare Wunsch an, auch diese speziellen Freiheiten und Schutzräume wertgeschätzt und verteidigt zu sehen. In einer Situation der Verängstigung möchte man sich zumindest symbolisch unterstützt fühlen, wenn die eigene Freiheit bedroht scheint. Politiker*innen anderer Staaten machen das gerade teils mit erfreulicher Selbstverständlichkeit vor. Deutschen Spitzenpolitiker*innen hingegen fällt dieses Bekenntnis zu unserer spezifischen Freiheit unübersehbar schwer. Zentrale Gebäude in mehreren Staaten werden in Regenbogenfarben beleuchtet, aber dem Bild des bunt erstrahlenden Eiffelturms steht eine schlappe Fahne vor dem DGB-Gebäude in Berlin gegenüber. Das schmerzt. Nicht, weil es so ernüchternd wäre, sondern weil es so erwartbar und konsequent ist. Wer die speziellen Freiräume und Freiheiten queerer Menschen ohnehin nicht wertschätzt oder sie sogar selber bekämpft, die_der kann eben auch nicht glaubwürdig trauern, wenn sie auf brutale Weise ausgelöscht werden.
Die besondere, eben nicht leichthin verallgemeinerbare Qualität queerer Freiheiten und queerer Schutzräume wird in einer Zeit, in der Differenznegierung zur Emanzipationsstrategie zurechtgelogen wird, von niemandem außer uns selbst verstanden. Und gerade jetzt müssen wir in Deutschland wieder einmal erfahren, dass wir ausdrücklichen Schutz nur in unseren eigenen Räumen finden und nicht in der gesamten Gesellschaft. Das ist eine der bitteren Lehren, die wir aus diesen Tagen ziehen müssen. Eine weitere Lehre, die Schwere statt Erleichterung in unser Leben bringt.
* * *
Wenn ich hier von Leichtigkeit schwadroniere, dann nicht, um einer hedonistischen Problemverdrängung das Wort zu reden oder um die sehr berechtigten Fragen und Analysen zu diskreditieren, denen wir uns nach dem Attentat von Orlando stellen sollten. Ihr könnt mir glauben, dass mir angesichts der Bilder, die ich derzeit sehe, alles andere als leicht ums Herz ist. Trauer, Wut und Kampfgeist sind wichtig und richtig. Mir geht es hier darum, dass wir von schweren Gedanken und den als „Sorgen“ vermummten Kriegslogiken nicht unser gesamtes Leben beherrschen lassen sollten, dass wir aber gerade in akuter Gefahr sind, das zuzulassen. Wir dürfen nicht vergessen, wie es sich anfühlt, unbeschwert und frei zu sein. Frei zu denken und nicht nur über Stöckchen zu springen. Wir sollten das kultivieren, durchaus als Form von Aktivismus, aber eben nicht nur als solche. Wir haben immer noch viele Momente und einige Räume der Unbekümmertheit und der Freiheit. Sie sind sehr kostbar, und diese Kostbarkeit entsteht nicht erst durch ihre Bedrohung oder Seltenheit. Sie haben ihren Wert in sich selbst. Wir können unsere Schutzräume pflegen und gemeinsam neue erschaffen. Andere werden es nicht für uns tun, und andere als wir selbst werden sie, wie es scheint, nicht einmal wirklich verteidigen, wenn es mal drauf ankommt, weil andere selten verstehen, was sie für uns bedeuten. Wichtig ist, dass wenigstens wir selber es verstehen.
Kultivieren wir unsere Nischen der Freiheit, und sorgen wir dafür, dass weiterhin die Unbekümmertheit aus diesen Nischen heraus in die Gesellschaft, in den öffentlichen Raum und in unseren eigenen Alltag ausstrahlt. Denn wenn wir das nicht tun, dann haben die… okay, lassen wir das. Mit dem Paradox, eben doch immer wieder für Leichtigkeit kämpfen zu müssen, werden wir, wie es aussieht, noch eine ganze Weile leben müssen.
Ich sehe übrigens auch die Kommentarbereiche dieses Blogs in gewisser Weise als Schutzräume. Das Klima da draußen ist gerade ziemlich erhitzt. Ich hoffe aber, dass hier in unserem kleinen Salon auch diesmal wieder eine von generellem Respekt getragene Diskussion entstehen wird, wie das – danke an euch alle! – bisher nahezu immer der Fall war, ohne dass ich großartig eingreifen musste.
Ich bin gespannt auf eure Kommentare zum Thema Schutzräume / Freiheit / Leichtigkeit und auf das, was euch gerade persönlich bewegt.
Danke, lieber fink.
Du sprichst mir – wie immer – sehr aus dem Herzen! <3
Ich habe mich ja nun auch schon auf meinem Blog am Thema abgearbeitet, aber du fügst noch einmal ganz neue Denkansätze hinzu, auf die ich so nicht gekommen wäre, mit denen du aber absolut Recht hast. Ich persönlich fühlte den Drang, über das Thema zu schreiben übrigens auch nicht, weil ich politisch sein wollte — Geflügel mit Worten ist ja nun auch ein Literaturblog — sondern weil es mir Konzentration und Atem raubte. Das musste raus! Insofern bin ich doppelt dankbar, dass mich dein Text umso mehr dazu bringt, nicht zuzulassen, dass diese Scheiße all mein Denken, Tun und Handeln dominiert. Seelenhygiene ist wichtig. Um der Freiheit, der Liebe, und der Liebe zur Freiheit wegen. Und aus Respekt vor den Opfern, die man mit jeder Politdebatte drumherum ja auch ein wenig (meist unabsichtlich) instrumentalisiert. Ich versuche nun, zu trauern, ohne mich von all dem Drumherum, der Gewalt, demontieren zu lassen. Aber es ist nicht leicht. Also, danke für diesen Text. Und den „fluffigen“ Baumarkttext liebe ich übrigens heiß und innig. Ohne diese Form von Leichtigkeit ab und zu könnte ich gar nicht existieren. Grüße vom Meer — heute mit Sonne, Regenbögen und Donnergrollen, als hätte auch der Himmel über Ostfriesland uns etwas dazu mitzuteilen …
<3
Lieber Zaunfink,
vielen Dank für diesen Text. Wie immer sprichst du mir dabei aus dem Herzen.
Auch ich halte es für wichtig, das eigene Denken und Handeln nicht zu sehr von Verbrechen wie dem in Orlando kontrollieren zu lassen. Weder in der Hinsicht, dass wir uns nun aus Angst unsichtbar machen, noch dass wir – sei es aus Trotz, Wut oder sonstigem – hauptsächlich deshalb sichtbar(er) werden. Letztlich orientiert sich beides stark an dem Blick der ‚anderen‘ auf ‚uns‘. Auf diese Weise geben wir solchen Menschen in der Tat sehr viel Macht über uns. Ich wünschte, wir könnten einfach (weiterhin) unser Leben leben, ohne diesen Aspekten so viel Gewicht zu geben.
Andererseits frage ich mich aber auch, wie uns ein solcher Umgang gelingen soll. In den Nachrichten hören wir ständig davon, in queeren und nicht-queeren Räumen/Zusammenhängen wird darüber diskutiert; kurz, es scheint kein Weg an der Auseinandersetzung vorbeizuführen. Das gilt natürlich nicht allein für das Massaker von Orlando, sondern für alle Formen von queerfeindlicher Gewalt (körperliche und verbale Angriffe auf Einzelpersonen/Paare etc.). Es gibt in Berlin, der Stadt in der ich lebe, Orte, bei denen sich die Meldungen bzgl. queerfeindlicher Gewalt häufen. Und ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass mich das Wissen darüber nicht stark in meiner (gefühlten?) Bewegungsfreiheit einschränkt. Zum einen, weil ich Übergriffen fürchten muss, zum anderen weil die ‚Jetzt-erst-recht-Einstellung‘ bei mir eine Art ‚Sichtbarkeitsstress‘ – also der Selbstanspruch queerer/schwuler Sichtbarkeit im öffentlichen Raum – auslöst. Den ganzen Scheiß einfach mal vergessen zu können und mich wirklich frei und ungezwungen bewegen zu können, gelingt mir dann meist nicht mehr.
Die Frage, die für mich daher entscheidend ist, ist, wie es uns in Anbetracht des Bombardements an entsprechenden Meldungen gelingt, sich weder in die eine noch in die andere Richtung zu sehr davon beeinflussen zu lassen. Eine wirklich befriedigende Antwort darauf habe ich bis heute nicht gefunden…
„Und gerade jetzt müssen wir in Deutschland wieder einmal erfahren, dass wir ausdrücklichen Schutz nur in unseren eigenen Räumen finden und nicht in der gesamten Gesellschaft. Das ist eine der bitteren Lehren, die wir aus diesen Tagen ziehen müssen. Eine weitere Lehre, die Schwere statt Erleichterung in unser Leben bringt.“
Das ist so bitter wahr. Und leider finden wir ihn allzuoft nicht einmal in unseren Räumen, denn auch bei uns wird ausgegrenzt, aussortiert, abgewertet.
Danke allen für die bisherigen Kommentare! Ich weiß ja auch nicht, wie ich das Dilemma auflösen kann. Natürlich will ich mich auch nicht selber von Trauer und Wut abschneiden.
Ich verrate mal, was momentan hier in Dauerschleife dudelt: Jimmy Somerville. Ich bin wegen seiner anrührenden Videobotschaft zu Orlando wieder mal über ihn gestolpert und bin gerade sehr begeistert darüber, wie er es in vielen seiner Songs geschafft hat, Wut und Trauer in eine total positive Energie umzuwandeln, so dass sie einen nicht niederdrücken, sondern lebendig machen. Der alte Alchemist. So ein kleiner Mann, so ein großes Herz. Und so heilsame Kunst.
Es ist schön und vollkommen richtig, daß Du eine Lanze brichst (was ja eine Geste des Friedens ist!!!) für die Leichtigkeit des Seins.
Und es ist ebenso schön, daß Du dazu ganz private Gründe, wie Du sie aufführst, hast.
Darum beneide ich Dich, ich habe die nicht! Ich habe sie nicht, und da geht es mir wie vielen, weil internalisierte Scham dagegensteht, bewußte Kämpfe gegen uns von alten und jungen Homo(selbst)hassern, noch immer der persönlichen Entfaltung des Idividuums entgegen stehen.
Darum ist es wichtig, diese Kämpfe aufzunehmen und weiter zu führen – und gleichzeitig diese Leichtigkeit , wie Du es versuchst, weiter zu erobern und sich nicht mehr abspenstig machen zu lassen! Das ist ja kein Widerspruch…sondern unterstreicht besonders gut den Gedanken der Vielfalt…
Vielen Dank für deinen Text, er hat mir einen ganz neuen Blickwinkel eröffnet und einiges zum Nachdenken gegeben.
Lieber Zaunfink,
meine Bewunderung dafür, dass Du selbst in diesen Zeit mit vielen wohlgesetzten Worten ein Gefühl von Leichtigkeit heraufbeschwören kannst. Das ist eine Gabe. Danke dafür.
Leider spüre ich, dass mir in den letzten Tagen meine Leichtigkeit und mein Optimismus ein großes Stück abhanden gekommen ist. Verantwortlich dafür ist die Nichtreaktion nicht nur der deutschen Öffentlichkeit, sondern auch meines Umfeldes, die und das leider überhaupt nicht im Stande zu sein scheint, zu begreifen, warum dieser Anschlag, dieser Massenmord eine zusätzliche Qualität im Vergleich zu den Anschlägen und Massenmorden der letzten Jahre und Monate hatte und warum es gerade so unendlich schwer fällt, den Terror, der da durch gesät wurde, aus dem Herzen zu verbannen.
Der Exorzismus funktioniert nicht. Denn während ich durch die Einschußlöcher spähe, die dieser Ausbruch von Homophobie und Menschenhass in meinem Weltbild hinterlassen hat, erkenne ich deutlich die Alltagshomophobie, die gelernt hat, sich zu tarnen und die erst durch kundige Autoren ans Licht gezerrt wird. Ich muss davon lesen, dass 40% (!) der Deutschen der Aussage zustimmen sollen, es sei ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen. Der Wert habe sich in den letzten Jahren verdoppelt. Trotz oder wegen all unser Bemühungen sichbar, „normal“, Menschen mit gleichen Rechten zu werden?
Ich setze meine Maske mit dem höflichen Lächeln auf und sehne mich nach meinem Schutzraum. Zu meinem Glück ist er immer noch da, denn er ist virtuell. Vielleicht der einzige Ort, der auf Dauer sicher ist. Ich weiß es nicht. Aber es macht mich traurig.
Yorick
Was du im zweiten Absatz schreibst, Yorick, das geht wohl den meisten von uns genau so.
„Ich setze meine Maske mit dem höflichen Lächeln auf“
Johannes Kram vom Nollendorfblog hat gerade gezeigt, was herausplatzen kann, wenn wir die Höflichkeit und Nachsichtigkeit, die wir uns angesichts des schmerzlichen Schweigens und Nichtstuns angewöhnt haben, einmal zur Seite legen. Die Reaktionen sind teils leider niederschmetternd, teils aber auch zustimmend. Für mich ist das ein Moment von „Endlich sagt’s eine*r!“, der jetzt unbedingt mal sein musste.
In der Tat fällt mir keine andere Minderheit ein, die angesichts ihrer Unterdrückung immer noch höflich bleibt, wie wir. Das Gift der Scham wirkt.
Hallo Zaunfink,
du hast mir mit deinen Worten aus der Seele gesprochen. Auch ich ärgere mich schon seit Monaten das jeder F… dieser engstirnigen Kleingeister dazu genutzt wird, um sie ins unendliche aufzublasen, obwohl es nur ein F… ist.
Allerdings frage ich mich auch schon seit langem und das nicht nur seit Orlando, ob das was die schwule Community anstrebt uns wirklich zu einer Anerkennung, einem Sein in Augenhöhe führt. Angesichts der neuesten Umfragen und der Reaktionen auf Orlando in Deutschland, usw. muss ich die Frage wohl mit einem Nein beantworten.
Ich sehe mich momentan eher in der ratlosen Postition, mit einem Gefühl, dass wir auf dem Holzweg sind. Insofern ist die Leichtigkeit, die du hier mit schönen Worten beschrieben hast, ein wunderschönes Bild, sogar eines nachdem man sich durchaus sehnen kann. Es ist sogar eines, was eine ratlose Seele ein wenig Entspannung bietet. Gleichzeitig liegt in ihr aber auch eine gewisse Enttäsuchung und Wut. Vor allem darüber, dass wir Sexualität noch immer nicht aus der Schamecke herausgeholt haben, sondern das dies immernoch dazu benutzt wird, um Menschen zu gängeln, in Gut und Böse einzuteilen. Ehe für alle und Kinder zu adoptieren sind vielleicht gut gemeinte Ziele, aber ich glaube der Weg, den wir gehen müssen ist das Schamgefühl zu bekämpfen. Das ist nicht leicht und dazu muss man seine Wohlfühlzonen verlassen. Auch ich muss gestehen, obwohl ich ein selbstbewußter schwuler Mann bin, ertappe mich solche Gefühle zu haben. So hat mein lesbischwuler Chor am kommenden Freitag einen Auftritt in Burkhards, einen kleinen Dorf irgendwo im nirgendwo. Der örtliche Chor gibt dort ein Fest und hat uns ausdrücklich eingeladen. Wir werden dort von schwulen Fußballern, Pfarrern, Polizisten singen, davon das dicke schwule Männer und dicke lesbische Frauen die Welt rocken und vieles mehr. Gay and proud eben. Trotzdem habe ich mich die Woche ertappt, dass ich darüber nachgedacht habe, wie dies bei den Zuhörern ankommt, weil wir offenherzig LGBT-Themen beschallen. Schamgefühl lässt grüßen. Vielleicht sollten wir öfters mal im Heterowald lauthals „i am, what i am“ singen!
Ich kann mir vorstellen, dass da öfter die Frage kommt „Warum muss es denn ein lesbisch-schwuler Chor sein? Könnt ihr nicht in einem normalen Chor singen?“
Falls du hier noch mal reinschaust und wenn du magst, lieber Michael, kannst du vielleicht ein paar Worte dazu sagen. Ich bin ja hier am Thema „Schutzräume“, und da wären deine Erfahrungen bezüglich des Chors als „mobilem Schutzraum“ vielleicht aufschlussreich.
Das betrifft ja eigentlich alle Gruppen und Räume, die so gern mal als „Ghetto“ diffamiert werden (eigentlich komisch, fällt mir gerade auf, dass ich das bezüglich des Pulse noch gar nicht gelesen habe).
Die Antwort ist etwas schwierig, weil ich die Frage so nicht höre. Die Frage wird eher in Verwunderung darüber gestellt, dass es einen lesbischwulen Chor gibt, und die Frage kommt erstaunlicherweise aus der eigenen Communitiy eher, als aus der Heterowelt, was ich durchaus bemerkenswert finde.
Das Thema „Schutzräume“ hat mich in diesem Zusammenhang etwas überrascht, weil ich gar nicht in diese Richtung nachgedacht habe.
Der Chor ist ja dadurch entstanden dass ein lesbisches und ein schwules Paar Freizeitaktivitäten miteinander machen wollen und das Singen irgendwie dabei herauskam, sich dann schnell Freunde und Bekannte dazugesellt haben. Anfangs war es gar kein lesbischwules Projekt, sondern wurde es erst mit den Jahren. Es gab sogar Zeiten, indenen die Community sich gegen die Heteros (in dem Fall vor allem Heteras) durchsetzen mußten, weil mehr und mehr lesbische oder schwule Themen besungen werden sollten. Insofern ist der Chor für mich eher ein Ort der Auseinandersetzung mit LGBT+ Themen (vor allem die Auseinandersetzungen mit meinen lesbischen Mitsängerinnen ist da nachhaltig in Erinnerung geblieben).
Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr kann ich mich mit dem Schutzraum anfreunden. Ja, wir können in diesem Raum so sein wie wir sind, keiner muss eine Rolle spielen oder seine Neigungen verstecken. Insofern ist es tatsächlich ein Schutzraum. Witzigerweise nehme ich das gar nicht so als Schutzraum wahr.
Das liegt sehr wahrscheinlich darin, dass es ein mobiler ist, und der Schutzraum kein tatsächlicher Raum ist, sondern eher von uns gebildet wird.
Die Erfahrungen allerdings sind positiv. Sowohl innerhalb der Gruppe, in der wir uns in vielen Situationen gegenseitig unterstützen, als auch außerhalb. Wir sind nie angefeindet oder ausgegrenzt worden. Das mag zum einen daran liegen, dass in den Welten in denen wir uns dann bewegen der Gesang eine übergeordnete Rolle spielt, das mag aber auch daran liegen, dass wir immer als Gruppe auftreten. Der alte Spruch „gemeinsam ist man stark“ gilt hier wohl.
Obwohl während ich das hier schreibe fallen wir doch zwei Situationen ein, die irgendwie unschön waren und die vor allem mit Vorurteilen zu tun hat.
Die eine ist schon länger her. Da waren wir auf einem Chorabend von einem Chor im Gießener Umland eingeladen. Unser damalige Chorleiter hatte dann in der Dankesrede etwas von Krankheiten erwähnt (damals hatten zwei von uns eine Krebsdiagnose erhalten). Schnell ging dann während der Veranstaltung rum, dass wir HIV hätten, und dann eher die Frage kam, wer von uns den betroffen wäre.
Die zweite Begebenheit war auch auf einem Chortreffen, das unser jetziger Chorleiter organsiert hatte mit seinen ganzen Chören. Darunter vor allem örtliche Gesangvereine. Nach unserem Auftritt habe ich dann an einem der Tische gehört, wie jemand sagte, die können richtig toll singen, aber der ganze schwule Kram…das muss nicht sein. Da das nicht nur ich gehört habe, hatte der Tisch insoweit verloren, als das wir uns mit mehreren an diesen Tisch gesetzt haben und das Thema mal klargestellt haben. Da hilft halt doch die Gruppe.
Insoweit hilft der Schutzraum schon, um sich Hilfe und Stärke zu holen.
Danke für diese Einsichten.
„die Frage kommt erstaunlicherweise aus der eigenen Communitiy eher, als aus der Heterowelt, was ich durchaus bemerkenswert finde.“
Echt – wundert dich das? Ich erlebe das regelmäßig, dass solche Projekte gerade aus der (sogenannten) Community heraus in Frage gestellt oder sogar aggressiv abgelehnt werden. Alles solle sich doch bitteschön in der Gesamtgesellschaft auflösen…
Diese Beobachtung teile ich. Zu Recht schreibst Du von „einer Zeit, in der Differenznegierung zur Emanzipationsstrategie zurechtgelogen wird“. Eine für mich sehr, sehr beunruhigende Tendenz.
Erfreulicherweise gibt es aber auch Gegenstimmen, z.B. die hier vom wunderbaren Marcel Dams: http://www.nollendorfblog.de/?p=6111
Vielleicht ändert sich das jetzt gerade, ich spüre, dass wir enger zusammenrücken.
Ich hoffe, dass du damit Recht hast, Karl. Ich fürchte ja, dass inzwischen die meisten schon wieder zur Tagesordnung übergehen und sich manche in ein paar Wochen fragen werden: „Orlando? War da was?“ Aber ich habe auch das Gefühl, dass dieses Ereignis einige von uns so tief beeindruckt hat, dass davon irgendwas bleiben wird. Und dass die Diskussionen, die jetzt laufen und ja hoffentlich noch weitergehen werden, irgendwas anstoßen und verändern könnten. Vielleicht bleibt eine größere Wertschätzung von Solidarität; das wäre toll.
Leser_innen, die neu hinzugekommen sind, möchte ich in diesem Zusammenhang auf den großartigen zaunfink-Artikel zum Thema Scham hinweisen: https://derzaunfink.wordpress.com/2016/01/17/schwulescham/
Vielen Dank für Ihren guten Blog, mit Gewinn und mit Beschämung gelesen.
Was Sie und alle hier schreiben, hat mich zu einem Blog zur Mitte-Studie veranlaßt: 40% Mitte
Lieber Fink,
vielen Dank für Deinen beeindruckenden Text. Ich habe lange darüber nachgedacht. Und da habe ich heute morgen eines meiner Lieblingsbücher zur Hand genommen – ganz passend: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins von Milan Kundera
Er schreibt:
„Ist das Schwere wirklich schrecklich und das Leichte herrlich?
Das schwerste Gewicht beugt uns nieder, erdrückt uns, presst uns zu Boden. In der Liebeslyrik aller Zeiten aber sehnt sich die Frau nach der Schwere des männlichen Körpers. Das schwerste Gewicht ist also gleichzeitig ein Bild intensiver Lebenserfüllung. Je schwerer das Gewicht, desto näher ist unser Leben der Erde, desto wirklicher und wahrer ist es.
Im Gegensatz dazu bewirkt die völlige Abwesenheit von Gewicht, dass der Mensch leichter wird als Luft, dass er emporschwebt und sich von der Erde, vom irdischen Sein entfernt, dass er nur noch zur Hälfte wirklich ist und seine Bewegungen ebenso frei wie bedeutungslos sind.“
Damit möchte ich mich natürlich in keiner Weise gegen das Streben nach Leichtigkeit wenden, obwohl das Gewicht eines Männerkörpers durchaus etwas Schönes ist.
Ich fühle mich durch Kunderas Worte nur daran erinnert, dass die Schwere dieser Zeit auch meint, dass sie etwas bedeutet, dass unsere Handlungen etwas bedeuten. So wie Dein Text. Danke dafür.
Dein Schwulbuch
Danke für dieses schöne Zitat, liebes Schwulbuch. Dass „Schwere“ etwas mit Lebendigkeit zu tun hat, ist tatsächlich ein interessanter Perspektivwechsel (und Kunderas Sicht liegt mir wirklich nahe, ich bin eigentlich meist auch nicht so der Typ für esoterische Hippie-Leichtigkeit).
Mir würde es halt reichen, wenn die Schwere des Lebens einfach nur aus den unvermeidlichen negativen Schwernissen wie Krankheit und Tod und den schönen wie Männerkörpern und dicken Büchern voller tiefer Gedanken bestünde und nicht auch noch alle möglichen unnötigen Gewichte dazukämen wie reaktionäre Deppen und irre Paranoia.
Schöner Text in deinem Blog übrigens. :-)
„Mir würde es halt reichen, wenn die Schwere des Lebens einfach nur aus den unvermeidlichen negativen Schwernissen wie Krankheit . . . “
„Dass „Schwere“ etwas mit Lebendigkeit zu tun hat, . . . “
Beinhaltet „Leichtigkeit“ keine Lebendigkeit . . .
„Schwere des Lebens . . “
„negativen Beschwernissen . . .“
Bewertung „möglicherweise“
Zeichnet sich „Leben“ nicht durch Lebendigkeit, Bewegung, Veränderung, Vielfalt aus?
Heute sind es auf den Tag genau 4 Monate an dem ich 24/7 im Bett (Polyneuropathie und Muskelschwund in den Beinen Nebenwirkung 34 Jahre HIV, 20 Jahre HIV Medikamente) auf dem Rücken liege. Trotz viel Bewegun wie Radfahren, Schwimmen gehen, durch Städte stromern um zu fotografieren wußte ich vom Verstand her das dieser Tag X eintreten würde.
Als der 25. Februar, der Tag X in mein Leben eintrat hat es trotz allen Wissens über das ich verfügte, den Boden unter meinen Füßen weggezogen. Ich erfuhr, fühlte am eigenen Leib wie es sich anfühlte.
Vor Jahren habe ich von Carl Simonton bemerkenswertes gelesen:
Ungesundes/negatives Denken:
Ich kann machen was ich will: Ich werde für den Rest meines Lebens im Rollstuhl sitzen
Positives Denken:
Nach der REHA werde ich wieder laufen können
Gesundes Denken:
Vielleicht kann ich nach der REHA wieder laufen oder auch nicht. Alles was ich tue hat darauf einen wesentlichen Einfluss. Quelle (in Abwandlung auf meine Situation) “Auf dem Weg der Besserung” .
Orlando – furchtbar, sehr extrem, AfD, Pegida Bewegung, der Roll Back der letzten Jahre macht nachdenklich und Angst. Keine Frage.
In den Spiegel schauen, die Fähigkeit m(s)ich zu hinterfragen, zu unterscheiden zwischen mir – innerhalb „Ich“ und außerhalb „Gesellschaft“ meines Selbst, wahrzunehmen was uns allen gemein ist, abzuwägen um neu zu entscheiden – wir nehmen jeden Tag Neues wahr insofern verändern sich bzw wachsen unsere Erfahrungen.
Natürlich habe ich meine Denkmuster und Gewohnheiten. Nicht alle bin ich in der Lage loszulassen um der Situation wie sich darstellt zu entsprechen, das sich mein der Alltag für mich „stimmig“ Kopf, Bauch, Seele ist, anfühlt. Und das im Bewußtsein das ich immer in Beziehung zu Menschen stehe, bin.
Kommunikation, Austausch mit Anderen wie Dein Blog, Du Zaunfink ist das Salz in der Suppe oder Chillies, Piment, Safran oder Szechuanpfeffer . . jenach dem wo man lebt. :)
Dann bin ich für Chili und Safran. :-) Danke für deinen Kommentar und viel Kraft!
So bitter es ist, muss man für seine Freiheit eben immer und immer wieder kämpfen. Eigentlich albern, oder? Es hat etwas von dem zynischen Sprüchlein „Mehr Frieden durch größere Feuerkraft“…
Was auch noch ein Gedanke ist, neben der Scham, zu einer Gesellschaft zu gehören, die abstruse Theorien über Prüderie und Ekel über die Rechte und Freiheiten Anderer stellt und das sogar mit Gewalt durchzusetzen bereit ist: immer schon müssen wir einander miteinander voreinander beschützen.
Das wird auch immer so bleiben, bis auch der letzte Mensch begreift (und umsetzt!), dass seine Freiheit da endet, wo die aller anderen Menschen beginnt. Dann wachsen uns Flügel, und die Leichtigkeit beginnt ;)
(ja, das ist sehr zynisch, denn mittlerweile verliere ich die Hoffnung, dass es irgendwann einmal so sein wird. Aber: kein Grund, auf zu geben, das angestrebte Ziel ist viel zu kostbar, egal wie viele Rückschläge es gibt!)
Ich weiß nicht, ob das zynisch ist, Lyleen. Vielleicht ist es einfach nur realistisch. Meine Art, mich vor der Depression zu retten ist es, auf die Nischen hinzuweisen, in denen wir doch ein bisschen mehr Freiheit geschaffen haben (auch wenn die sicher noch verbesserungswürdig sind).
Ich bemerke mit einiger Überraschung, dass mein Text einer von ziemlich vielen ist, in denen derzeit unsere Schutz- und Freiräume in den Mittelpunkt gestellt werden. Die Frage, womit das zu tun hat (sicher das erhöhte Zusammenrücken in schwierigen Zeiten, aber auch das Erschrecken darüber, wie leichtfertig diese Räume ignoriert und in ihrer Bedeutung negiert werden), ist sicher einiges Nachdenken wert.
Gerade habe ich ein besonders vielschichtiges Beispiel entdeckt für die freiwillig-unfreiwillige Verschränkung von Freiheit und Hass, die gerade stattfindet: Der digitale Comedy-News-Kanal seriously.tv hat ein Video mit küssenden Männerpaaren veröffentlicht. Im Video wird gleichzeitig erklärt, dass vermutlich viele Menschen dieses Video nicht zu Ende sehen, aber einen homophoben Kommentar hinterlassen werden. Für jeden dieser Kommentare werde nun ein Dollar an den OneOrlandoFund gestiftet, der den Opfern, Angehörigen und der LGBTTIQ*-Szene zugute kommen wird. Das Resultat ist, dass nun die meisten Kommentator*innen homophobe Kommentare vortäuschen, meist mit einem erklärten Augenzwinkern oder mit Herzchen dahinter, um Spenden zu erwirken. Manche schreiben, wie seltsam es sich anfühlt, solche Kommentare in die Tastatur einzugeben.
Leichtigkeit erreicht man nicht (wieder) durch verbissenen Kampf, sondern durch stetige Übung, Arbeit und Geduld, die es einem ermöglicht, mit den eigenen Kräften effektiv umzugehen und Widerstände scheinbar mühelos zu überwinden. So ist das in vielen sportlichen und künstlerischen Disziplinen – und auch im Leben. Aber die Augenblicke (und Texte), in denen Schweres plötzlich leicht wird, zeigen an, dass es geht.
Überwinden oder Aushalten lernen muss man wohl auch die Trauer und das Entsetzen über das Phänomen irrationaler, blindwütiger Homophobie. Bis der Umgang von Gesellschaften mit Homo- und Transsexualität durchgängig leicht und selbstverständlich wird, kann es noch lange dauern. Die Aufgabe, die uns gestellt ist, ist nicht ein Kampf, der eben mal gewonnen und entschieden wird, sondern ein stetiges Einüben neuer zivilisatorischer Fähigkeiten im Umgang mit Sexualität(en) – mit vielen Momenten, in denen Leichtigkeit aufschimmmert.
Mensch Fink,
wie hast du sie wieder mal queergebürstet, die Debatte! Ich bin – wie immer – voller Bewunderung!
Und es gibt sie, die Leichtigkeit. Immerzu, auch wenn 13 oder so Prozent Krieg schreien. Und auch ich habe momentan oft den Impuls, meinen Feunden vorzuhalten, warum geht ihr nicht für uns auf die Straße? Warum initiiert ihr keine Solidaritätsaktionen? Warum schreibt ihr nicht an die Kanzlerin?
Aber (und ich muss gestehen, dass ich es hoffe, aber nicht weiß): Vielleicht ist die stille, 100%ige Zustimmung jedes Freundes, jedes Arbeitskollegen, jedes Vermieters, jedes Fleischthekenfachverkäufers am Ende wichtiger. Weil sie Selbstverständlichkeit kommunizieren. Weil sie eine kleine Aura um sich bilden, in die wir jederzeit eingeschlossen sind. Und weil sie damit das Bett für die Leichtigkeit bereiten.
Vor Kurzem las ich den Kommentar einer Hetera, an die LGBT-Community gerichtet. Sinngemäß: „Wisst ihr eigentlich, wie oft wir euch im Alltag verteidigen? Wie oft wir uns vor euch stellen?“
Ich wusste es nicht. Vielleicht gehört zum Selbstverständnis der Selbstverständlichkeit, mit der unsere Unterstützer für uns eintreten, dass sie es selbst nicht zum Thema machen. Weil Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit dann flöten gehen, wenn ich sagen muss: „Hey, schaut, hier, ich! Ich tue was ganz Besonderes und trete für LGBT ein!“
Ich denke, wehrhaft müssen wir trotzdem bleiben. Es könnte sein, dass Selbstverständlichkeit und stillschweigende Übereinkunft irgendwann nicht mehr ausreichen. Sollte es dazu kommen, würden allerdings LGBT-Rechte zusammen mit einem sehr viel größeren Kontext von Werten der offenen Gesellschaft auf dem Spiel stehen.
Tagesgeschehen vs. Geplantes | Carmilla DeWinter
Hier ein sehr lesenswerter Artikel zum Konfliktfeld von „sich an freiheitsfeindlichen Ideologien abarbeiten / eigene Freiheitsräume schaffen“:
geschichtedergegenwart.ch/herdologie-oder-worum-syt-dir-so-truurig