Oje, alle reden von einem „historischen Tag“, und ich habe so gar keine Lust auf eine feierliche Würdigung. Wie ihr wisst, bin ich der Typ, der bei der Party in der Ecke steht und mit dem spitzen Finger über das staubige Regal fährt – es ist ein dreckiger Job, aber einer muss ihn machen. Von mir also keine Tanzeinlage.
Vielleicht ist es ohnehin noch zu früh, um die Bedeutung der Eheöffnung für unseren Alltag und unsere politischen Strategien wirklich abzuschätzen. Ereignisse wie dieses sind aber immer ein guter Anlass, ein paar queerpolitische Wasserstandsmeldungen aus den Medien zu ziehen. Wie wär‘s also hiermit: Ich schmeiße einfach mal eine lockere Liste von Beobachtungen in die Runde, die ich in den letzten Wochen zwischen Beschluss und Inkrafttreten der „Ehe für alle“ aufgesammelt habe, und ihr, liebe Lesende, ordnet das selber ein. Oder widersprecht oder ergänzt. Ihr seid ja schon groß.
* * *
Wir haben nun wirklich andere Sorgen! Wer diesen Satz in letzter Zeit nicht hundertmal gelesen hat, hat vielleicht ein glücklicheres Leben als ich. Ich werde ernsthaft über meinen Medienkonsum nachdenken.
Bald werden wir Kinder, Tiere und Haushaltsgeräte heiraten können. Wir sehen die Zeichen der Apokalypse in Kanada, den USA, Spanien, den Niederlanden: Nach Öffnung der Ehe geht die Sonne nicht mehr auf, Frauen werden unfruchtbar, Kinder wissen nicht mehr, ob sie Männlein oder Weiblein sind, Sittenstrolche in Röcken lungern zu Dutzenden in Damentoiletten herum, Menschen heiraten Zimmerpflanzen, giftige Heuschrecken kriechen aus den Brunnen. Wer glaubte, mit queerfeindlichem Gaga sei es jetzt endlich mal gut, hat sich gründlich geirrt.
Manches ändert sich also gar nicht. Das Abendland geht unter wie gehabt. Ist doch irgendwie auch beruhigend. Der soziale Zusammenhalt, den allein die heterosexuelle Kleinfamilie durch verlässliche Vererbung der gesellschaftsrelevanten Neurosen garantieren kann, zerbröselt durch linke Gleichmacherei und schwulen Hedonismus wie eh und je. Wir perversen Staatsfeind:innen können halt nur das Eine: Gesellschaften zerstören und sonst gar nichts (das „gar“ bitte mit Marlene-Dietrich-haft gerolltem „r“ lesen).
Neu ist: Auch die „Ehe für alle“ wird in den Strudel fremdenfeindlicher Paranoia hineingesogen. Denn natürlich wird die jetzt unvermeidbare staatliche Förderung der Polygamie („für alle“, verstehste?) die Islamisierung unseres Vaterlandes vorantreiben wie nichts zuvor. Nur so als Beispiel. In Wirklichkeit ist es wahrscheinlich noch viel schlimmer, aber davon erfährt man in der Lügenpresse ja nichts.
Das kommt alles viel zu plötzlich. 150 Jahre seit der ersten Forderung nach einer gleichgeschlechtlichen Ehe durch Karl Heinrich Ulrichs und ein Vierteljahrhundert seit der „Aktion Standesamt“ des LSVD waren einfach nicht genügend Zeit, um über dieses sensible Thema mal in Ruhe nachzudenken. Unverschämt, dass das jetzt so plötzlich übers Knie gebrochen wird, und eine Frechheit gegenüber den Betroffenen, die viel lieber noch ein paar Jahrzehnte auf einen wirklich gut durchdachten Gesetzentwurf gewartet hätten. Mit nur 80% Zustimmung ist die Gesellschaft einfach noch nicht so weit. Besonders empört über die mangelnde Gelegenheit zur Diskussion sind natürlich erstens die Union, die jede Diskussion seit Jahren blockiert und zweitens die katholische Kirche, die Dogmen eh besser findet als Debatten und sonstigen demokratischen Schnickschnack.
Wenn man den Schmuddelkram versteckt, flutscht es mit der Mehrheit. Wir lernen für die Zukunft: Von der „Homo-Ehe“, die so unschön nach Sexualität und Randgruppe klang, wollte verständlicherweise niemand so recht was hören. Die „Ehe für alle“ dagegen geht Nachrichtensprecher:innen und Politiker:innen einfach viel cremiger über die Zunge. Die jugendfreie und geradezu Bibelkreis-taugliche Entsexualisierung des zentralen Schlagworts war kein Zufall, sondern ein gezielter Coup einer konzertierten Kampagne.
Tolle neue Unsichtbarkeits-Optionen tun sich auf. Weil jetzt die verräterische Kategorie „verpartnert“ in Dokumenten durch ein neutrales „verheiratet“ ersetzt wird, können wir uns nun endlich offiziell verpaaren, ohne uns am Arbeitsplatz und bei Behörden zu outen. Das ist super. Ich kann den geliebten Menschen heiraten und dann niemandem erzählen, wer er ist. Gleichstellung, um unsichtbar zu werden, hurra! Wer hätte davon nicht geträumt?
(Michael Kauch, Stefan Kaufmann, dem Magazin „Männer“ und 625 anderen gefällt das.)
Überraschung: Die Ehe ist etwas Konservatives. Grüne erklären Konservativen, dass die Ehe doch eigentlich eine zutiefst konservative Angelegenheit sei und die Konservativen also dafür sein müssten. Konservative erklären Grünen, dass die Ehe doch eigentlich eine zutiefst konservative Angelegenheit sei und die Grünen also dagegen sein müssten. Wird da eigentlich niemand stutzig?
Die Betroffenen haben verdient, dass man gegen die Ehe für alle beim Verfassungsgericht klagt. Denn betroffene Paare wollen Rechtssicherheit, und wie könnte man die besser herstellen als durch die Anfechtung ihrer demokratisch beschlossenen und bereits in Kraft getretenen Rechte? Aber würdigt das undankbare Pack etwa das fürsorgliche Engagement der CSU?
Die Union war schon immer für alle Rechte, die sie damals bekämpft hat. Sicher nur irgendein dummes Missverständnis.
Man kann nicht mehr über Homosexualität berichten, ohne mit dem Satz „Die Ehe für alle ist beschlossen“ zu beginnen. Es ist ein bisschen wie damals, als hunderte von Journalist:innen es für originell hielten, ihren Medienbeitrag mit „Berlin hat einen schwulen Bürgermeister“ zu eröffnen. Heute wie damals ist diese Standardeinleitung geprägt von einer seltsamen Mischung aus Auf-die-eigene-Schulter-klopfen für diese unfassbare Toleranzleistung und ungläubigem Staunen darüber, dass wir das wirklich schon im 21. Jahrhundert hinbekommen haben.
Die Eheöffnung ist irgendwie witzige Folklore. Die wichtigsten Fragen sind jetzt: „Was ziehe ich dazu an?“ („Ein wenig Gold, ein wenig Glitzer, ein wenig Regenbogen.“) und „Welches Gebäck reiche ich dazu?“ („Regenbogenfarben heben die Stimmung und schmecken in diesem Brot besonders lecker.“)
Wichtig ist natürlich, was fanatische Endzeitprediger aus der Antike heute dazu sagen würden. Aber damit müssen deren Fans selber klarkommen.
Apropos Religion: Alle muslimischen Bundestags-Abgeordneten haben für die Eheöffnung gestimmt. Müssten nicht wenigstens die total dagegen sein? Auf was zum Teufel kann man sich eigentlich noch verlassen, wenn nicht mal auf die eigenen Vorurteile?
Lesben und Schwule haben doch Privilegien! Nicht wenige der Vorzeigepaare, die gerade munter alle Medien bevölkern, berichten von mehrfachen Ja-Worten, die sie dem selben Menschen gegeben haben. Das können Heteros nicht so leicht. Wer es geschickt angestellt hat, kann bis zu vier offizielle Liebesschwüre sammeln: Erst zur „Hamburger Ehe“ ohne alle Rechte, dann zur „Begründung einer Lebenspartnerschaft“ im örtlichen Liegenschaftsamt, dann vielleicht zur Segnung in der protestantischen Dorfkapelle der Nachbargemeinde (weil der eigene Pfarrer von seiner Gewissensfreiheit Gebrauch machte), und jetzt zur Eheschließung im geschmückten Rathaussaal. Jedesmal Torte und alles ohne Scheidung. So romantisch kann Diskriminierung sein!
Man nimmt den Heteros doch etwas weg. Auch wenn alle betonen, das sei gar nicht so. Nämlich ihr irrationales Überlegenheitsgefühl und die Ehe als Alleinstellungsmerkmal. Ein Kommentator auf tagesschau.de fragt bang: „Muss ich jetzt schreiben: ‚verheiratet – nicht homo‘?“ Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Und ihnen erklären, warum diese Sorgen sie als arrogante Dummdödel entlarven.
Das Gesetz liefert hilflose Kinder dem Zugriff von perversen Kinderfickern aus. Das kann man nicht nur in den Kommentarspalten der asozialen Hetzwerke nachlesen, sondern auch in der FAZ oder beim Kasseler Biologie-Professor Ulrich Kutschera. Die verblüffende These, die Letztere vereint: Schwulen fehle die „Inzest-Hemmung“, die auf eine mirakulöse Weise nur Heterosexuelle davon abhält, adoptierte Kinder zu vergewaltigen. Die FAZ hat gerade trotz Rüge des Presserates erklärt, künftig genau so weiterzündeln zu wollen.
Es bleibt dabei: Diskriminieren ist ein Menschenrecht. Die Menschen, denen man gleiche Rechte verwehrt, müssen Respekt vor denen haben, die dafür agitieren, dass das so bleibt. Man muss ja wohl noch homophob sein dürfen, ohne dafür gleich als homophob angefeindet zu werden.
Diverse Schmierblättchen aller Kategorien lassen darüber abstimmen, ob Artikel 3 des Grundgesetzes auch für Lesben und Schwule gelten soll. Und das sogar jetzt noch, wo das Gesetz durch ist. Danke, Leute, so fühlt sich Demokratie gut an. Für euch.
Offene Menschenfeindlichkeit wird immer noch als akzeptabler und notwendiger Teil einer ausgewogenen Debatte verkauft. Die ganzen homo- und transfeindlichen Nasen hocken schon wieder in jeder TV-Diskussion. 1Live, der Jugendsender des WDR, konfrontiert eine junge Lesbe mit der homophoben Hetze einer Christin und verharmlost das Ganze als „Meinungaustausch“. Die Lesbe muss sich u.a. mit der Aussage herumschlagen, Homosexualität sei eine Sünde und eine Krankheit (offenbar geht beides gleichzeitig). Die vollkommen ungleiche und unausgewogene Situation, in der ausschließlich eine Person die andere in einem Kernbereich ihrer Persönlichkeit beleidigt und herabsetzt, während die zweite sich rechtfertigen muss, wird mit dem Slogan „Zwei Menschen, zwei Meinungen“ verschleiert. Wir freuen uns schon auf die Folgen „Arisches Jungmädel trifft Roberto Blanco – Welche Rasse ist wirklich die bessere?“ und „Holocaust-Leugner diskutiert mit Buchenwald-Häftling – Alles Ansichtssache.“ Hatten wir gehofft, endlich nicht mehr diese ganze Scheiße anhören zu müssen? Pustekuchen. Nicht nur bei queeren Themen hat Journalismus immer weniger mit Fakten oder gar Verantwortung zu tun.
Die Homos wollen das Eherecht doch selber nicht. Denn da kennt einer einen Schwulen, der ist auch dagegen. Und da. Und da auch.
Die Ehe muss eigentlich ganz abgeschafft werden. Mindestens aber das Ehegattensplitting. Schön, dass endlich mal ein bisschen Bewegung in die Diskussion über eine pragmatische Familienpolitik kommt und dass dabei auch die Ehe-Privilegien kritisch beäugt werden. Einen seltsamen Beigeschmack hat es leider, dass diese Kritik ausgerechnet in inhaltlicher Verbindung mit der Eheöffnung aufkommt, als müssten diese Privilegien erst in dem Moment in Frage gestellt werden, da Schwule und Lesben einbezogen werden. Schade ist vor allem, dass diese Diskussion offenbar jetzt schon wieder vollständig verebbt ist.
Noch eine Überraschung: Die strukturelle Diskriminierung hat sich immer noch nicht erledigt! Ist das nicht seltsam? Kinder und Jugendliche werden in der Schule immer noch gemobbt, queere Menschen krankenhausreif geprügelt, es gibt immer noch Hetze in Politik, Religion und Medien, Entlassungen von queeren Angestellten, die Suizidraten unter queeren Jugendlichen sind nicht über Nacht gesunken. Das Neue ist: Wenn man darüber berichtet, muss man jetzt den Satz „Die Ehe für alle ist da“ an den Anfang stellen (s.o.) und sein Staunen darüber signalisieren, dass die Ausdehnung gesetzlicher Paarprivilegien jahrhundertealten, strukturell verankerten Hass nicht schlagartig auflösen kann. (Zur Erinnerung: Der schwule Bürgermeister hatte diese magische Fähigkeit auch nicht.)
Die Eheöffnung macht alle schwul! Mindestens aber ein paar Journalist:innen endgültig gaga.
CSDs, Gruppen und Organisationen müssen sich fragen lassen, ob sie jetzt überhaupt noch notwendig sind. Haben wir wirklich den Eindruck erweckt oder zumindest zugelassen, der einzige Zielpunkt der gesamten queeren Bewegungsgeschichte sei schon immer die Eheöffnung gewesen? Wenn wir heute die vielen anderen Ziele neu erklären müssen (oder sogar selbst überlegen, welche das eigentlich mal waren), dann ist in den letzten Jahren eindeutig was schiefgelaufen, liebe queere Geschwister. Es ist Zeit für eine gründliche Neuorientierung!
Zum unbeschwert Feiern war am 01.10. – nur eine Woche nach dem gruseligen Bundestagswahlergebnis wohl den wenigsten queerpolitisch Engagierten zumute. Vielleicht sollten wir aber gerade jetzt noch einmal wertschätzen, dass SPD, GRÜNE und LINKE im Sommer die Chance genutzt haben, die rechtliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen durchzusetzen. Man stelle sich vor, das Thema würde jetzt in Koalitionsverhandlungen als Tauschobjekt verhökert nach dem Motto: Wenn ihr die “Ehe für alle bekommt” müsst ihr uns aber die “Obergrenze” dafür geben…
Ich denke, wir werden in nächster Zeit genug damit zu tun haben, Abgeordnete, Journalist_innen und Mitmenschen davon zu überzeugen, dass rassistische, homophobe und andere menschenfeindliche Ressentiments keine Sorgen sind, für die wir Verständnis zeigen müssten…
Ja, zweifellos können wir sehr froh sein, dass das jetzt „durch“ ist.
Hier noch eine kleine Dosis Antidepressivum von einer klugen Kollegin, lieber Manfred:
Franziska Schutzbach: „Das Glas ist halb voll“
Franziska Schutzbach schreibt: “Es geht um die Veränderung der Mehrheitsgesellschaft, der Norm selbst.”
Genau das erträume ich mir durch die Öffnung der Ehe – die Veränderung der Norm. Dass eben gerade nicht mehr automatisch vorausgesetzt werden kann, welches Geschlecht der Ehepartner hat, wenn man sagt, man sei verheiratet. Dass man sich als Hetero näher erklären muss, wenn man Eindeutigkeit herstellen möchte. Deshalb wünsche ich mir, dass endlich Schluss ist, von “Homo-Ehe” oder “Ehe für alle” zu sprechen. Diesen Unterschied macht das Gesetz nicht. Und das war doch das Ziel, dachte ich.
Die SPD, Grünen und die Linken haben die Ehe für alle nicht durchgesetzt. Es war ein politischer Schachzug von Frau Merkel die erkannte das Teile ihrer eigenen Partei dafür waren oder zumindest der Ehe für alle gleichgültig gegenüberstanden. Sie hat eine Fährte gelegt und es hat funktioniert.
Mit ihrem “Schachzug” hat sie den Parteien einem Wahlkampfthema den Wind aus den Segeln genommen das die übrigen Parteien sonst ins Feld hätten führen können was die CDU Stimmen gekostet haben würde. Sie war sich bewußt das man allen voran Volker Beck und Anderen die sich Jahrelang für die “Ehe für Alle” stark gemacht haben zujubeln würde.
Ein Grund zum feiern wär es gewesen wenn die SPD mitten während der Amtsperiode Frau Merkel ein Ultimatum gestellt hätten: Ehe für Alle – rechtliche Gleichstellung für Schwule und Lesben – oder wir die SPD lassen die GROKO platzen.
Das sehe ich anders. Gewiss wollte Merkel das Thema mittelfristig abräumen, nachdem alle potentiellen Koalitionspartner – selbst die FDP – die Gleichstellung als Bedingung deklariert hatten, aber ich denke, sie hat nicht damit gerechnet, dass die SPD dann das winzige Zeitfenster tatsächlich nutzt, um das noch in der alten Legislaturperiode umzusetzen. Im übrigen hat sich ja gezeigt, dass das der CDU/CSU nicht genutzt hat, sondern eher der AfD, weil es für homophobe Wähler_innen eben nicht überzeugend ist, wenn Merkel selbst zwar gegen die Gleichstellung stimmt, sie aber durch ihre Taktiererei zulässt. Dass das Thema ansonsten im Wahlkampf eine wichtige Rolle gespielt hätte, halte ich für eine Überschätzung, zudem wurde Volker Beck ja von der eigenen Partei fallen gelassen. Ich finde, wenn die Sozen einmal was gut gemacht haben, sollten wir das auch anerkennen und ein Lob aussprechen. Wie sonst sollen denn die progressiven Stimmen in der SPD endlich wieder Auftrieb erhalten?
Nein. Frau Merkel hatte einen anderen Plan. Sie wollte das Thema Eheöffnung um jeden Preis aus dem Wahlkampf heraushalten. Deshalb kündigte sie an, darüber nach der Wahl “gewissensfrei” abstimmen zu lassen, und zwar in der Erwartung, dass dann keine Mehrheit mehr dafür da sein werde, erst recht nach neuen Koalitionsverhandlungen, in denen sie dachte, für die Regierungsbeteiligung dem Partner -wer immer das sein würde- sein Gewissen abkaufen zu können. Sie machte nur den Fehler, ihren Plan 24 Stunden zu früh herauszustottern, als die Tagesordnung der letzten Bundestagssitzung gerade noch eben geändert werden konnte.
Ich seh’ das Ganze auch mehr als so eine Art.. Etappensieg, much way to go (mit oder ohne Kaffee).
Es gibt durchaus Gründe, warum es eine große Erleichterung sein kann, sich nicht mit “verpartnert” zwangsouten zu müssen.
13% haben für die AfD gestimmt. Noch viel mehr für die CSU. Diese Leute sitzen in Firmen auch in Chefetagen und Personalabteilungen.
“Aber dann arbeite doch einfach nicht in einer homophoben Firma!” wird da gerne argumentiert. Oder ich halte mein Privatleben einfach aus meinem Berufsleben raus. Es interessiert mich auch umgekehrt nicht ob, wie und mit wem meine Kollegen verheiratet sind.
Nebenbei bemerkt bin ich in meinem gegenwärtigen Job geoutet. Aber fragt mal einen Erzieher oder eine Sozialarbeiterin, die bei irgendeiner der vielen kirchennahen Organisation oder gar direkt bei der katholischen Kirche selbst angestellt sind.
Weitere Situation in der es sehr viel einfacher sein kann unsichtbar zu sein: Mit einem arabischen Partner, der relativ regelmäßig in diese Region reist, kann es sehr schnell sehr problematisch werden, wenn der Konsulatsbeamte auf den Visaanträgen “Cvil Union” stehen sieht.
Ich finde es ein bisschen schade verurteilt zu werden, weil ich jetzt erleichtert bin ein paar Probleme in meinem Leben vermeiden zu können durch die Option mein Privatleben für mich zu behalten.
Ich denke nicht, dass fink Dich deshalb verurteilt.
Jedoch beschreibt er die allgemeine gesellschaftliche Situation. Und kritisiert sie zu Recht. Wenn diese Situation es für Einzelne “erforderlich” macht, sich zu verstecken, ist das mit Recht anzuprangern, denn so darf diese Situation schlicht nicht bleiben. Wir dürfen es nicht als gesellschaftlichen Erfolg werten, jetzt endlich ein Stück unsichtbarer sein zu können. Das Gegenteil muss gelingen: volle Sichtbarkeit OHNE diese gesamte Problematik. Dass dieses Ziel noch lange nicht erreicht ist, ist klar. Aber es ist auch legitim, über den erreichten Status quo heraus Forderungen an eine Weiterentwicklung der Gesellschaft zu stellen. Das sehe ich hiermit als gegeben und kann ich nur vollstens unterstützen.
Lieber Tim, es ist gut, dass du protestierst, denn dieser Absatz ist wohl wirklich erklärungsbedürftig.
Mir ist es generell wichtig, dass wir niemanden persönlich verurteilen, der sich aus berechtigten strategischen Notwendigkeiten heraus „wegduckt“. Das hieße, ein Problem, das wir kollektiv anpacken müssen, zu entpolitisieren und den Einzelnen die Verantwortung dafür zuzuschieben.
Ebenso wichtig ist es mir, dass „Wegducken“ nicht zu einer kollektiv anerkannten politischen Strategie wird.
Im konkreten Fall heißt das: Wenn jemand aus den von dir genannten nachvollziehbaren Gründen ungeoutet bleibt, dann muss ich dessen_deren Gründe selbstverständlich anerkennen. Natürlich geht es da auch um reale Risiken. Was mich stört (und das geht jetzt selbstverständlich nicht gegen dich), ist, wenn sich da ein Unterton einschleicht, als sei die Möglichkeit, unsichtbar zu bleiben bzw. wieder zu werden, die Lösung des Problems an sich.
Wenn sich z.B. ein:e Politiker:in darüber freut, dass man jetzt als Angestellte:r bei einem kirchlichen Arbeitgeber als „neutral“ verheiratet auftauchen kann, dann erwarte ich, dass er:sie bei dieser Freude nicht stehen bleibt, sondern sich gefälligst um ein Antidiskriminierungsgesetz kümmert, das diese Unsichtbarkeit unnötig macht. Die Unsichtbarkeits-Option kann die Auswirkungen des Problems lindern, darf aber nicht als dessen Lösung missverstanden werden.
Dafür, dass das in der verkürzten und flapsigen Form im Artikel natürlich nicht so differenziert rüberkam, sondern als persönlich verletzend verstanden werden konnte, bitte ich um Entschuldigung. So habe ich es nicht gemeint.
Ich vertrete mein Schwulsein ganz offen, dennoch entscheide ich gern selbst, wem ich es wann auf die Nase binde, und das muss nicht bei jeder Gelegenheit sein, anlässlich derer ich meinen Familienstand angeben muss oder danach gefragt werde. Deshalb bin ich lieber verheiratet als verpartnert.
Diese Frontalangriffen machen mir eigentlich nicht so viel Angst, und ich glaube auch nicht dass sie fruchten werden. Als Frontalangriffe nenne ich alle Angriffe die sich direkt gegen die Ehe für Alle widmen.
Zum Beispiel: “Die gleichgeschlechtliche Ehe führt nun bestimmt auch zur Tierehe!”
Verheiratete Schwule und Lesben die ein typisches Stickdeckchen-Vorzeige-Leben führen, genießen meines Erachtens im Netz und in der gemeinen Bevölkerung ein gutes Maß an Sympathie, trotz allem.
Meine größte Sorge gilt aktuell der Alt-Right-Methode, uns in gute und schlechte Homos einzuteilen. Gerne wird auf die Art die Bewegung wahlweise als überkritische, schrille, stetig unzufriedene und kreischende Minderheit oder als hedonistisch-promisker, allesfickender, fetischversuchter Sittenverfall abgetan.
Mir ist eine schrille, kreischende Minderheit fetischversuchten Sittenverfalls allemal lieber als ein typisches Stickdeckchen-Vorzeige-Leben. Just saying.
„Alt-Right-Methode, uns in gute und schlechte Homos einzuteilen.“
Hat das wirklich nur mit ‚Alt-Right‘ zu tun? Teilen wir uns nicht seit Beginn der Schwulenbewegung selbst immer wieder in gute und böse Schwule ein?
Wun-der-bar!
So ist der Stand der Dinge!
Danke!