Das Orga-Team des CSD Bremen macht Vieles richtig. Man reflektiert über mangelnde Diversität im eigenen Team und über Intersektionalität, man kritisiert Diskriminierungen innerhalb der eigenen Communities und möchte vor allem miteinander statt übereinander reden. Die zentralen Begriffe der eigenen Arbeit sind Aufklärung und Sichtbarkeit. Wie schön!
Und dann – Plattenspielerscratchgeräusch! – schreibt das Team unter „Unsere Visionen und Grundsätze“ einen ganzen Absatz mit der Überschrift „Keine Fetischdarstellungen“. Die Sichtbarkeit eines ganzen Teils der Community soll einfach per Beschluss verhindert oder zumindest eingeschränkt werden.
„Wir wollen über die Probleme von queeren Menschen in der Gesellschaft aufklären.“ heißt es da. „Wir wollen nicht bewerten, wessen Probleme größer oder kleiner sind.“
Gleich im nächsten Satz passiert genau das: Man bewertet und spielt verschiedene Probleme gegeneinander aus. Die Probleme eines bestimmten Teils der Community stuft man sogar als dermaßen unwichtig ein, dass man die ganze Gruppe einfach aus der öffentlichen Wahrnehmung wischen möchte.
„Aber das Darstellen von Fetischen in der Öffentlichkeit finden wir nicht hilfreich, wenn wir bei der gleichen Demonstration und Kundgebung über Themen wie Asylrecht, Trans*Recht oder queere Krankenversorgung sprechen möchten.“
Die Themenvielfalt unserer CSDs ist einer ihrer schönsten Aspekte. Zweifellos ist es schwierig, diese Vielfalt in der Öffentlichkeitsarbeit ausgewogen zu tarieren. Es bleibt aber hier völlig offen, inwiefern ausgerechnet sichtbare Fetische es verunmöglichen sollen, über andere Themen zu sprechen. Auch die lobenswerte intersektionale Perspektive (auch Asylsuchende und trans Menschen können kinky sein, auch Fetischist*innen können auf eine gute Krankenversorgung angewiesen sein) wird hier leider schon wieder vergessen.
„Gerade bei Fetischen, die für Zuschauende sexuell gelesen werden, stellt sich zusätzlich das Problem, dass das Publikum nicht einwilligen kann (fehlender Konsens im Sinne von safe, sane, consensual).“
„Safe, sane, consensual“ (sicher, vernünftig, einvernehmlich) ist ein Grundsatz, der für BDSM-Sex, insbesondere für Praktiken mit einem gewissen physischen und/oder psychologischen Sicherheitsrisiko, entwickelt wurde. Der Verweis auf diesen Grundsatz an dieser Stelle ist in doppelter Hinsicht problematisch, um nicht zu sagen perfide.
Erstens wird so der bloße passive Anblick von „Fetischdarstellungen“ (es wäre vor allem mal zu klären, was genau damit eigentlich gemeint ist und was nicht) zu einer sexuellen Interaktion zwischen Demo-Teilnehmenden und Zuschauenden aufgebauscht. Man bedient hier den alten Topos der „aufgedrängten Sexualität“, der sonst so gerne von queerfeindlichen Reaktionär*innen gegen die gesamte queere Community genutzt wird: Die Verwendung dieser Formel suggeriert, dass Fetischist*innen die Zuschauenden dazu zwängen, an ihrer Sexualität teilzunehmen. Und dazu sei natürlich ein vorheriges Einverständnis erforderlich, das man aber eben nicht einholen könne. Die bloße Anwesenheit von Fetischen wird in die Nähe eines akuten sexuellen Übergriffs gerückt.
Zweitens ist es problematisch, dass hier eine Formel eingesetzt wird, die von einer potentiell riskanten Begegnung ausgeht. Die Betrachtung von „Fetischdarstellungen“ wird mehr oder weniger direkt zu einem potentiellen Risiko für Zuschauende erklärt. Aber worin genau besteht dieses Risiko? Das darf man sich halt selbst ausmalen. Es fehlt eigentlich nur noch der Hinweis auf die Kinder, an die man doch unbedingt auch denken müsse.
„Ganz zu schweigen davon, dass die Sexualisierung von Frauen* im Allgemeinen und Minderheiten im Besonderen problematisch genug ist.“

Damit ist in der Tat ein interessanter Punkt angesprochen. Allerdings bleibt fraglich, weshalb diese Debatte ausgerechnet auf Fetische begrenzt bleiben soll. Jede Äußerung von intimerer Nähe wird in einer heteronormativen Öffentlichkeit sexualisiert, sobald es sich um irgendwie queere Nähe handelt. „For those people, we’re nothing but walking sex acts“ sagte treffend die irische Tunte und Aktivistin Panti Bliss. Es ist ein riesiges Problem, dass beispielsweise zwei handhaltende Männer in der Öffentlichkeit ein sexualisiertes Kopfkino bei vielen Passant*innen auslösen. Vor allem lesbische Frauen leiden an dem Problem, dass jede ihrer sichtbaren Zuneigungsbekundungen in der Öffentlichkeit immer wieder in unangebrachter und übergriffiger Weise von anderen sexualisiert und fetischisiert werden kann. Aber wie können wir mit diesem Problem umgehen? Sollen Lesben sich dann besser auch nicht in der Parade küssen? Oder besteht die Lösung nicht eher darin, solche Bilder selbstverständlicher zu machen?
Gleichzeitig haben die selbstbestimmte, selbstbewusste Sexualisierung des eigenen Körpers und die un-verschämten Darstellungen der eigenen sexuellen Vorlieben eine lange Tradition auf CSDs und werden von Teilnehmenden oft, gern und erfolgreich zur Selbstermächtigung genutzt. Das tun auch Teilnehmer*innen, die sich ohne Fetisch freizügig kleiden und sexy schminken. Was ist mit denen? Sollen sie alle besser darauf verzichten, um nicht fremdbestimmt sexualisiert zu werden?
Folgendes hat sich das Bremer Orga-Team selbst verordnet:
„Mehr Reflektieren. In allen Prozessen des Zusammenlebens ist es wichtig, sein eigenes Verhalten zu Reflektieren und darüber nachzudenken, wo man selbst anderen Menschen (unbewusst) geschadet hat und was man in Zukunft besser machen kann.“
Genau das ist jetzt eure Aufgabe, liebes Team. Jetzt ist es Zeit, zu reflektieren und es besser zu machen. Ihr werdet darüber nachdenken, wie ihr euer Orga-Team diverser besetzen könnt. Ihr werdet den Dialog mit Fetischist*innen suchen und miteinander, statt übereinander reden. Ihr werdet die Kritik ernst nehmen, den Aufruf zurückziehen und stattdessen Fetischist*innen explizit herzlich zur Teilnahme einladen. Ihr werdet euch nicht in trotzige Pseudo-Entschuldigungen flüchten, die alles noch schlimmer machen.
Ich ahne ja, was – neben einem eventuellen eigenen Unbehagen mit Fetischen, das ich aber nicht ferndiagnostizieren möchte -, die Grundlage eures Statements sein könnte. Wenn da jetzt wieder Leute mit Hundemasken, Gummikorsetts und Peitschen herumlaufen, dann wird die Presse davon Bilder machen und über die anderen Themen nicht berichten. Das kann passieren.
Eure Aufgabe ist dann aber nicht, diese Bilder zu verhindern, indem ihr die Menschen rausschmeißt, die sie liefern könnten. Stattdessen solltet ihr eure sicherlich sehr professionelle Pressearbeit so aufstellen, dass die Presse sowohl über all diese anderen Themen berichtet als auch darüber, wie befreiend es ist, wenn alle Menschen ihre sexuellen Wünsche erfüllen können, ohne dafür von anderen beschämt, ausgegrenzt, dämonisiert oder sogar mit Verboten eingeschränkt zu werden. Wie schön eine Welt sein kann, in der es keine Hierarchisierungen von Menschen mit verschiedenen Identitäten und verschiedenen sexuellen Vorlieben gibt. Eine Welt, in der keine einzige Person Angst haben muss, genau so sichtbar zu werden, wie sie ist. Das ist nämlich immer noch die Utopie eines CSDs.
Euer Statement bringt queere Menschen in die sehr schlimme Situation, sich für ihre bloße Anwesenheit rechtfertigen zu müssen. Sie bringt sie in die noch schlimmere Situation, dass ihre bloße Sichtbarkeit als schädlich für andere markiert wird. Ihr bringt damit diese Menschen selbst in Gefahr!
Müssen Kinkster jetzt wirklich schon wieder – jedes verdammte Jahr wieder! – anderen Teilen der Community erklären, dass sie niemandem schaden? Dass sie auch dazu gehören? Dass sie existieren dürfen und auch sichtbar sein dürfen? Kein queerer Mensch soll das jemals müssen, und schon gar nicht innerhalb unserer eigenen Communities.
Natürlich sind Diskussionen über die verschiedenen Sexualitäten erlaubt. Natürlich können diese Diskussionen auch irritieren und befremden. Genau dazu ist aber der CSD unter anderem auch da. Diese Diskussionen sollten aber zumindest hier auf Augenhöhe stattfinden. Sie werden nur dann stattfinden, wenn die verschiedenen Sexualitäten, um die es geht, selbstverständlich sichtbar werden dürfen. Diese Diskussionen werden nicht, zumindest nicht auf Augenhöhe, stattfinden, wenn ihr ein solches ausschließendes, hierarchisierendes Signal setzt.
Obwohl, wenn ich darüber nachdenke: Es kann gut sein, dass ihr gerade mit diesem Beschluss dafür gesorgt habt, dass – zumindest anlässlich eures CSDs – jetzt fast nur noch über Fetische geredet wird und gar nicht mehr über die anderen Themen. Ironisch, nicht wahr?
Wie auch immer. Ihr schreibt selbst:
„Hinter vielen Problemen queerer Menschen steckt ein großer gemeinsamer Nenner: Es gibt noch viel zu wenig Verständnis bei viel zu vielen Menschen darüber, wie viele romantische, sexuelle und geschlechtliche Identitäten es gibt.“
Genau so ist es. Ihr könnt jetzt Teil der Lösung sein statt des Problems.
Das schafft ihr. Danke im Voraus!
17.07.2021: Der CSD Bremen hat auf seiner Webseite ergänzt: „Unterm Regenbogen ist Platz für alle. Auch für Fetischgruppen. Auch beim CSD Bremen. Wir melden uns später mit einer Erklärung.“
Ich habe zu diesem Thema 2019 einen ausführlicheren Artikel geschrieben: Und raus bist du – Fetisch auf dem CSD
Auch noch aktuell: Samstag ist ein guter Tag: Wir waren schon so nah dran. Wie unsere Gleichstellung Jahr für Jahr an ein paar Fetzen Stoff scheitert
Ching L: Why Kink, BDSM, and Leather Should Be Included at Pride
Alexander Cheves: 13 Reminders Pride Is Also About Sex
Danke herzlich, lieber fink!
Mal sehen, ob sich das Bremer Orgateam an Deiner Weisheit orientiert oder eine der zahllosen Pseudo-Entschuldigungen à la „Falls sich hierdurch jemand verletzt gefühlt haben sollte, täte es uns leid“ vom Stapel lässt. Meiner Ansicht nach wäre die einzig angebrachte Reaktion jetzt eine explizite Einladung an die Fetisch-Community. Und zwar keine herumgedruckste, sondern eine offene, ehrliche, herzliche und glaubhafte.
Übrigens… besonders absurd fand ich die Begründung, „das Publikum könne nicht einwilligen“. Mir ist nicht bekannt, dass im deutschen Recht irgendwo verankert wäre, dass das Publikum einer Demonstration an irgend einer Stelle einwilligen müsste. Eine absurde und hanebüchene Argumentation.
Oh Mensch! So eine dahergeschwurbelte Antwort, wie man sie nun nach 27 Stunden veröffentlicht hat, kann sich sonst echt keine_r ausdenken. Also Fetischkleidung TRAGEN ja, aber sonst möglichst stillhalten. Und nur ja nicht zeigen, dass Fetisch, genau wie der gesamte CSD, etwas mit Sexualität zu tun hat!
Wer sich ein solches Verhalten tatsächlich von den Veranstaltern vorschreiben lässt, tut mir Leid. Ein CSD dient zur BEFREIUNG von Zwängen, nicht zur Etablierung neuer Zwänge!
SO, nun muss ich versuchen, meine Aufregung wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen. Ich brodle…
https://www.csd-bremen.org/2021/pressemitteilung-38/
Als ich die Ankündigung las, musste ich gleich an deine bisherigen Texten zu dem Thema denken, insbesondere an „und raus bist du“.
Es ist wirklich traurig, dass einerseits reflektierte Organe der Community immer noch denken, eine möglichst große Annäherung an das Postulat heteronormativer Biederkeit sei notwendig, um ernstgenommen zu werden. Allein der Gedanke, dass hetero Fetischist*innen sich durch die Repräsentation ebenfalls aufgefangen fühlen könnten, wirkt unvorstellbar. Die Community soll also das Hetero-Idealbild erfüllen, ohne zu hinterfragen, ob die Heteromehrheit dies wirklich aus Überzeugung so lebt.
Danke dir, dass du dich für die Sache mit derart guten Texten einsetzt.
Ich habe immer wieder das Gefühl, dass wir ständig in der Gesellschaft Schritte rückwärts gehen.
Ich denke eher, wir haben bereits viel erreicht, aber Entwicklung ist keine Gerade, sondern eine teilweise in sich verschlungene Welle. Wichtig ist, Präsenz zeigen, Aufklären und weiterhin an der Gesellschaft und unseren Zielen zu arbeiten.