CSD Bremen: Wie man eine Nonpology schreibt und wo es immer noch hakt

Der CSD Bremen hat heute eine Erklärung zu der Kritik an seiner Haltung zu „Fetischdarstellungen“ abgegeben. Wer zumindest auf eine Pseudo-Entschuldigung nach dem Motto: „Es täte uns leid, falls wir missverstanden worden sein sollten“ gehofft, hatte, wird enttäuscht. Da ist keinerlei Entschuldigung für irgendwas zu lesen.

Marcel Dams sagt in einem Tweet eigentlich alles Notwendige:

„Hallo, wir haben mehr als 24 Stunden gebraucht, um euch mitzuteilen, dass wir etwas geschrieben haben, was wir nicht meinten und euch nun die Schuld geben, weil ihr uns einfach falsch verstanden aka beim Wort genommen habt. Mit freundlichen Grüßen!“ #LolWins #VerarschungFürAlle

Aber ich möchte trotzdem noch mal genauer auf den Text des CSD Bremen eingehen:

„Offensichtlich wurde unser Beitrag “Vision und unsere Grundsätze” vom 15.11.2020 missverstanden, denn wer den CSD Bremen kennt, weiß, dass:

  • Das CSD Orga-Team zu keinem Zeitpunkt seit Gründung des Vereins (2016) das Tragen von Fetischkleidung auf der CSD Bremen Demo verboten hat. Ganz im Gegenteil. Im Juni 2017 hat das Orga Team beschlossen: „Fetisch Kleidung ja. – Sex, sexuelle Handlungen usw. Nein! – Wir demonstrieren gemeinsam, aber das Ausüben sexueller Handlungen in der Öffentlichkeit gehört nicht dazu!
  • Teilnehmende in Fetischbekleidung nehmen seit unserem ersten CSD (2017) ganz selbstverständlich teil.
  • Das ist so, das bleibt so, und über die Teilnahme von Menschen in Fetischkleidung freuen wir uns.“

Das Argument ist hier also: Wir können jetzt aktuell gar nichts Falsches gegen Fetischist*innen geschrieben haben, denn diese Leute sind ja früher immer zum CSD gekommen. Hmm. Immerhin gibt es eine ausdrückliche Einladung. Das ist gut.

„Wir denken, dass die Darstellung von Sex, sexuellen Handlungen, wie zum Bespiel symbolische Penetration, Einführen von Dildos tief in den Hals u. Ä. bei der Vertretung unserer Forderungen gegenüber Dritten, wie zum Beispiel der Politik nicht hilfreich ist.“

Es behauptet ja auch niemand, dass das eine hilfreich für das andere ist. Die Frage ist, ob es wirklich ein schicksalhafter Gegensatz sein muss. Dass man verschiedene Themen mit entsprechender Öffentlichkeitsarbeit austarieren kann, wenn man das nur will, habe ich ja gestern schon angedeutet. Es geht offensichtlich darum, auch nur symbolische sexuelle Handlungen generell zu verhindern, weil man einfach ein Saubermenschen-Image für politisch „hilfreich“ hält. Die Frage ist, ob und wie eine solche Strategie mit der Solidarität gegenüber allen Menschen in unseren Communities vereinbart werden kann. Das scheint mir hier, wie so oft, der zentrale Konflikt zu sein.

Man könnte also darüber diskutieren, ob (symbolischer oder realer) Sex in der Öffentlichkeit (zumindest in einem solchen Rahmen) nicht in seinem befreienden und selbstermächtigenden Potential wahrgenommen werden könnte. Man könnte auch darüber diskutieren, ob diese Frage wirklich nur für einen ganz kleinen Teil unserer Communities von Relevanz ist. Reminder: Natürlich gehören auch Asexuelle zu unseren CSDs und zu unseren Communities! Natürlich muss man dabei auch die Perspektiven von Menschen einbeziehen, die von sexuellen Darstellungen beispielsweise wegen traumatischer Erfahrungen oder aus anderen Gründen so stark getriggert oder abgestoßen werden, dass ihnen das die Teilnahme am CSD verunmöglichen könnte. Das muss man ernst nehmen. Dass aber untraumatisierte Passant*innen bei einem CSD auf gar keinen Fall irgendetwas Sexuelles sehen dürften, weil das für irgendwen gefährlich sein könnte, halte ich nicht für ein überzeugendes Argument. Natürlich will das nicht jede*r sehen. Es will aber auch nicht jeder lesbische Küsse oder trans Menschen sehen. Wenn wir die Außenwahrnehmung zu unserem eigenen Maßstab machen, haben wir schon verloren. Das ist einfach nicht unser Problem. Bzw. wenn doch, ist Tabuisierung nicht die Lösung dieses Problems.

Das alles kann man also diskutieren und zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Ich halte es aber nicht für hilfreich, einfach jede sexuelle Darstellung, sogar nur angedeutete, automatisch als gefährlich bzw. schädlich für die „eigentlichen Anliegen“ des CSDs vorauszusetzen. Was sind denn unsere Anliegen? Geht es beim CSD überhaupt nicht um sexuelle Befreiung? Gar nicht? Kein klitzekleines Bisschen? Wer hat das wann so entschieden?

Hier wird also eine klare Priorisierung von Themen vorgenommen. Die ist legitim, sie sollte nur eben offen diskutiert und auch andere Perspektiven sollten respektiert werden.

„Ein Teilbereich dieser Darstellungen sind auch Fetischhandlungen. Hier geht es zum Beispiel um Handlungen, die stark auf den Sexualakt reduzieren.“

Das verstehe ich nicht. Wenn man sexuelle Handlungen generell nicht sehen möchte, dann kann man das einfach so schreiben. Es ergibt überhaupt keinen Grund, den Teilbereich Fetische hier zu betonen. Ich verstehe auch nicht, inwiefern ausgerechnet Fetischsex vor allem auf den Sexualakt fokussiert. Ich dachte immer, das Gegenteil wäre der Fall.

„Auch Handlungen, wo das Publikum nicht erkennen kann, dass sie auf der absoluten Freiwilligkeit und der Möglichkeit jederzeitiger Beendigung durch alle Beteiligten basieren, können problematisch sein.“

Nicht solche Handlungen sind problematisch. Problematisch ist, dass zu wenige Menschen etwas darüber wissen, wie solche Handlungen funktionieren. Wie soll man aber etwas darüber erfahren, wenn es tabuisiert wird? Ich ziehe mal wieder die Parallele: Jede queere Sexualität kann „problematisch“ erscheinen, wenn man nichts darüber weiß. Ein Drittel der Deutschen findet es z.B. ekelhaft, wenn sich zwei Männer küssen. Sind dann diese Küsse problematisch oder die Intoleranz der Betrachtenden? Und worin besteht die Lösung? In der Unsichtbarmachung?

„Wenn diese Wahrnehmung zum Beispiel zu einem Zielkonflikt mit der Forderung nach sexueller Selbstbestimmung führt, verlieren Forderungen in den Augen von Zuschauern an Kraft.“

Auch die Entscheidung, eigene Unterwerfungswünsche in einem sicheren Setting auszuleben, ist sexuelle Selbstbestimmung. Geht es beim CSD etwa nur um diejenigen Formen sexueller Selbstbestimmung, die alle Zuschauenden auf Anhieb nachvollziehen können? Was ist das bitte für ein Ansatz? Merkt ihr selbst, oder? Wie gesagt: Alles eine Frage von Aufklärung. Keine Aufklärung ohne Sichtbarkeit. Das funktioniert nicht.

„Wir werden schon oft genug mit dem “Was wollt ihr denn noch”-Argument konfrontiert, da Menschen die noch bestehenden Probleme nicht erkennen.“

Daran sind nicht ausgerechnet Fetische oder BDSM schuld. Was hier passiert, ist Sündenbockdenken. Aber jetzt kommt’s:

„Unser ehrenamtlich tätiges Team hat den Grundsatzartikel (Herbst 2020) veröffentlicht und dabei lediglich alle im Laufe der Jahre gefällten Grundsätze zu einem Dokument zusammengeführt. Dass das Wort Fetisch mehrere Bedeutungen hat, wurde dabei schlichtweg übersehen.“

Wie kommt man dazu, „Fetischdarstellung“ zu schreiben, wenn man „sexuelle Darstellung“ meint? Was gibt es da zu übersehen? Das alles ergibt nur dann Sinn, wenn man jede eindeutig sexuelle Handlung irgendwie als Fetisch interpretiert. Oder umgekehrt. Dass das missverstanden werden muss, sollte zumindest rückwirkend klar werden. Dann kann man die Schuld am Missverständnis aber nicht auf die Kritisierenden abwälzen, sondern muss um Entschuldigung bitten.

„Was das CSD Bremen Team jedoch nicht übersehen hat, ist die Tatsache, dass Fehler passieren können, wo Menschen arbeiten.“

Und wenn man einen Fehler gemacht hat, was tut man dann? Na? Nein, ihr tut es nicht, und das ist wirklich ärgerlich.

„Wir haben alle Lesenden in der Einleitung des Grundsatzartikels zum Feedback eingeladen. Für die teilweise konstruktiven Kritiken …“

Okay, die Nerven liegen blank und sicher gab es auch wirklich unsachliche und persönlich beleidigende Kommentare. Den kleinen zickigen Seitenhieb kann ich wirklich verstehen.

… möchten wir uns sehr bedanken. Und werden in naher Zukunft den Absatz unmissverständlich umformulieren.“

Ich bin gespannt. Und was die konstruktive Kritik angeht: Immer gerne wieder. Versprochen!

Soweit die Realität. Gestern hatte ich geschrieben, was ich mir idealerweise erhofft hatte: „Ihr werdet darüber nachdenken, wie ihr euer Orga-Team diverser besetzen könnt. Ihr werdet den Dialog mit Fetischist*innen suchen und miteinander statt übereinander reden. Ihr werdet die Kritik ernst nehmen, den Aufruf zurückziehen und stattdessen Fetischist*innen explizit herzlich zur Teilnahme einladen. Ihr werdet euch nicht in trotzige Pseudo-Entschuldigungen flüchten, die alles noch schlimmer machen.“

Naja, da ist also noch etwas Luft …


Update: Am Sonntag, 18.7.2021, hat der CSD Bremen auf seiner Webseite erklärt:

„Wir haben jetzt Fetisch durch Sex ersetzt. Wir entschuldigen uns dafür, dass wir zwei Sachen in einen Topf geworfen haben, die zwar Überschneidungen haben, aber nicht das Gleiche bedeuten.“

Die Überschrift des Kapitels ist jetzt: „Keine Darstellung von sexuellen Handlungen.“

Der Text blieb weitgehend unverändert: „Wir wollen über die Probleme von queeren Menschen in der Gesellschaft aufklären. Wir wollen nicht bewerten, wessen Probleme größer oder kleiner sind. Aber das Darstellen von Sex in der Öffentlichkeit finden wir nicht hilfreich, wenn wir bei der gleichen Demonstration und Kundgebung über Themen wie Asylrecht, Trans*Recht oder queere Krankenversorgung sprechen möchten. Gerade bei sexuellen Handlungen stellt sich zusätzlich das Problem, dass das Publikum nicht einwilligen kann (fehlender Konsens im Sinne von Safe, sane, consensual). Ganz zu schweigen davon, dass die Sexualisierung von Frauen* im Allgemeinen und Minderheiten im Besonderen problematisch genug ist.“

Pfeif drauf!

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