Alles so schön bunt hier! – Verdrängung und Hilflosigkeit angesichts queerfeindlicher Gewalt

Am Samstagabend, am Ende des CSD Straßenfestes in Münster, hat ein 25-jähriger trans Mann mehrere Frauen gegen queerfeindliche Beleidigungen verteidigt und ist daraufhin vom Täter mehrfach so hart ins Gesicht geschlagen und zu Fall gebracht worden, dass er nun lebensbedrohlich verletzt im Koma liegt. [Artikel auf queer.de]

Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe schreibt dazu auf Facebook:

„Der Angriff auf einen Teilnehmenden des Christopher Street Days in Münster erschüttert mich zutiefst. Münster ist eine weltoffene, tolerante und bunte Stadt! Meine besten Wünsche für den Betroffenen, seine Familie und Freunde!“

Ich falle gedanklich in den Spalt zwischen dem ersten und dem zweiten Satz. Was ist da passiert? Es gab – wieder einmal – einen schwerwiegenden Angriff gegen queere Menschen; ein trans Mann ringt um sein Leben. Ein politischer Verantwortungsträger nimmt das zur Kenntnis. Und dann stellt er sich (im metaphorischen Sinn) ans Krankenbett und sagt, dass aber eigentlich alles gut ist?

Wenn Münster weltoffen und tolerant ist, wie ist dann dieser junge Mann ins Krankenhaus gekommen? Ist das gar nicht im bunten Münster passiert, sondern in einer Parallelwelt?

Es geht mir hier gar nicht darum, den OB Lewe persönlich anzupinkeln. Ich würde das einfach irritiert abhaken, wäre seine Reaktion ein Einzelfall. Sie steht aber symptomatisch für den Umgang mit queerfeindlicher Gewalt und anderen Formen menschengruppenfeindlicher Gewalt. Die Tat wird zur Kenntnis genommen, es wird Mitgefühl signalisiert – und dann wird abgewiegelt, verharmlost, verdrängt, entpolitisiert und schöngeredet. Die Strategie, die der OB hier so knackig in drei Sätzen illustriert, wird fast überall erfolgreich angewandt: Kenntnisnahme, Mitleid, Verdrängung. Es wird alles getan, um nur nicht wahrhaben zu wollen, was doch alle queeren Menschen wissen: Wir leben nicht in einer toleranten Welt. Buntheit schützt uns nicht. Wir sind nicht sicher.

Und es ist umso verunsichernder, das zu wissen, jeden Tag von queerfeindlichen Angriffen verbaler, physischer und politischer Art zu hören und dann auch noch zu sehen, wie diese Gewalt jedes mal als tragischer Einzelfall beiseite gewischt wird. Denn das heißt: Es wird auch weiterhin keine angemessene gesellschaftliche Reaktion auf diese Gewalt geben. Wir haben keine politische Hilfe zu erwarten. Es ist gesellschaftlicher Konsens, die Gewalt gegen uns nicht als das wahrzunehmen, was sie ist: politisch motivierte Hassgewalt, die sich gegen alle Menschen richtet, die wissen: Das Opfer hätte ich gewesen sein können.

Das Problem ist die Auslagerung, die da stattfindet: Unsere Stadt ist bunt und tolerant, aber der Täter nicht. Der gehört dann wohl einfach nicht zur Stadtgesellschaft. Er muss entweder von anderswo gekommen sein oder er hat nur die ganze schöne Buntheit hier irgendwie noch nicht begriffen.

Es geht um eine Frage, die eigentlich alle Diskriminierungsdebatten beherrscht: Begreifen wir gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten als strukturelles Problem in unserer Gesellschaft? Dann müssen wir anerkennen, dass das Problem nicht in irgendein Außen oder an einen Rand verdrängt werden kann, sondern als Teil unserer eigenen gesellschaftlichen und politischen Strukturen erkannt und dort – in der Mitte – bekämpft werden muss. Wir müssen unsere eigenen Verstrickungen anerkennen und bearbeiten. Wir müssen erkennen, dass auch unser Nichtstun Teil des Problems ist. Oder verstehen wir gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als bedauerliche Charakterschwäche einzelner Personen, die leider aus dem Rahmen unserer perfekten Demokratie fallen? Dann können wir uns bequem zurücklehnen, unsere Hände in Unschuld waschen, im Gewaltfall ein bisschen Mitleid haben und der Polizei, der Justiz und dem Gesundheitssystem die Aufräumarbeiten überlassen.

Es ist alles nicht neu. Auch nach dem Angriff auf das Publikum des Pulse in Orlando (um nur ein Beispiel zu nennen) habe ich mich von politisch Verantwortlichen in ähnlicher und teils noch schlimmerer Weise unverstanden und allein gelassen gefühlt. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich überhaupt einmal eine Wortmeldung eines nicht betroffenen Politikmenschen zu aktueller queerfeindlicher Gewalt gehört habe, die mir als wirklich adäquat imponiert hätte. Ich glaube, die meisten marginalisierten Menschen kennen dieses Gefühl: Da ist etwas wirklich Schreckliches passiert, schon wieder, und ihr versteht gar nicht, worum es hier geht. Ihr übernehmt keine Verantwortung. Mitleid reicht nicht als Reaktion. Wir brauchen etwas ganz anderes.

Zum Unverständnis kommt ein zweiter Faktor, der frustriert: die Hilflosigkeit, die aus solchen Reaktionen spricht. Welche politisch verantwortliche Person hat eigentlich wirklich irgendein Konzept parat, um gegen Queerfeindlichkeit auch präventiv vorzugehen? Es wäre so viel beruhigender, in solchen akuten Gewaltfällen zu hören, was in der Politik gerade alles schon läuft und was in Zukunft noch geplant ist, als nur zu hören, dass doch eigentlich schon jetzt alles bunt und paletti sei. Das muss nicht alles schon funktionieren. Es sollte nur endlich anlaufen. Niemand mit einem Funken Realismus erwartet, dass es in irgendeiner Stadt, irgendeinem Unternehmen oder Verein oder sonstwo wirklich überhaupt keine Diskriminierungen mehr gibt. Genau deswegen wirkt es eher verstörend bis alarmierend als tröstlich, wenn diese regenbogenfarbene Utopie so leichthändig per Deklamation behauptet wird. Die meisten queeren Menschen in Deutschland wissen nämlich: Wir brauchen keinen billigen Trost. Wir brauchen politische Verantwortung und Aktion. Die Gewalt gegen uns wird nicht per verbaler Buntwäsche verschwinden.

Bitte hört wenigstens auf, uns zu verarschen.

4 Kommentare zu “Alles so schön bunt hier! – Verdrängung und Hilflosigkeit angesichts queerfeindlicher Gewalt

  1. Ich bin mir nicht sicher, ob der Bürgermeister verdrängen will. Sicherlich könnte man das mit diesen Worten tun, aber es besteht auch die Chance, dass die Worte „Münster ist eine weltoffene, tolerante und bunte Stadt!“ eine Art Bekenntnis ist, ein Selbstverständnis ist, das er formuliert. Im Sinne von „Das darf bei uns nicht passieren, weil das nicht unser Selbstverständnis“ ist.

    Natürlich ist es totaler Bullshit, dass die Stadt total bunt, weltoffen und Ponyhof ist, denn Diskriminierung gibt es immer und überall – aber ich würde nicht unterschätzen, dass die Postulieren einer bunten und weltoffenen Gesellschaft auch wichtig sein kann, um diese wirklich zu erschaffen.

    • Ich stelle gar nicht in Frage, dass solche Floskeln in (auch) guter Absicht geäußert werden. Vermutlich ist es genau so gemeint, wie du es beschreibst, Petra. Aber so eine Aussage hat ja nicht unbedingt immer nur eine einzige Botschaft. Was in guter Absicht gesagt wird, kann leider auch negative Begleittöne haben.
      Mich stören solche Floskeln schon zu alltäglicheren Anlässen. Im Fall einer aktuellen schweren Gewalttat finde ich sie einfach nur bestenfalls gedankenlos und schlechterenfalls zynisch.

  2. Ein wichtiger Beitrag, der mir aus dem Herzen spricht. Manchmal fällt es mir schwer, bei Gewalttaten wie diesen bzw. den Reaktionen darauf, nicht in Zynismus zu verfallen. Es ist in der Tat erschreckend zu sehen, dass es seitens der Politik keine adäquate Antwort gibt. Und es stellt sich mir die Frage, wieso das so ist.
    Leider komme ich immer mehr zum Schluss, dass es eben nicht nur Hilflosigkeit ist, die aus solchen Äußerungen spricht, wie du sie beschreibst. Eher schätze ich, dass es – so grausam das klingen mag – eine große Gleichgültigkeit ist. Die Gewalt und Diskriminierung gegen queere Menschen wird gewissermaßen als Kollateralschaden für die Beibehaltung eines nach wie vor ziemlich rigiden geschlechtlichen Ordnungsprinzips hingenommen. Sie trifft ja nur „skurrile Minderheiten“.
    Dabei möchte ich nicht unterstellen, dass körperliche Gewalt befürwortet wird. Ich denke aber, dass sie ein Stück weit politisch und gesellschaftlich akzeptiert ist, solange sie nicht allzu explizit und deutlich wird. Das Unbehagen bzgl. queerer Sichtbarkeit wird – entgegen aller Beteuerungen – von einer breiten Masse geteilt. Und wenn die Diskriminierung und Gewalt andere queere Menschen davon abhält sichtbar zu werden, dient es einem Zweck, dessen Ziele durchaus gutgeheißen werden, selbst wenn die Mittel kritisiert werden. Disziplinierung durch Einschüchterung.
    Aus diesem Grund vermute ich, dass auch queerfeindlich motivierte Gewalt verharmlost und kleingeredet wird. Denn sie macht queere Menschen gerade dadurch sichtbar, indem sie versucht sie unsichtbar zu machen. Der größte Denkfehler, den wir als queere Menschen machen können, ist anzunehmen, dass das Ausbleiben einer Antwort auf Queerfeindlichkeit allein in Unwissenheit liegt. Neben Hilflosigkeit, die es sicherlich auch gibt, ist es wohl eher Gleichgültigkeit gepaart mit Verständnis für die Absicht der Täter_innen queere Sichtbarkeit in die Schranken zu weisen.
    Es ist traurig, dass selbst innerhalb queerer Communitys häufig keine wirklich tiefgehende Auseinandersetzung mit Queerfeindlichkeit erfolgt. Auch hier wird verdrängt und es geht selten über belanglose Vielfaltsbekundungen hinaus, die man* gedankenlos der Mehrheit nachplappert. Ob das aus Naivität, Bequemlichkeit oder einem Gefühl der Ohnmacht heraus entsteht, lässt sich für mich schwer einschätzen. Beunruhigend und frustrierend ist es aber allemal…

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