Christliche Familienbilder und das kürzeste Weihnachtsmärchen der Welt

Heiligabend. Es klingelt an der Tür.

„N’Abend, ich bin das Coronavirus und würde gern wen infizieren. Darf ich reinkommen?“

„Da sind Sie hier leider falsch. Wir haben zwar die Bude voll, aber wir sind alle miteinander verwandt. In direkter Linie.“

„Ach, wie schade.“

„Ja, sorry. Aber versuchen Sie’s doch gegenüber, unsere Nachbarin hat drei Freunde eingeladen, die sind ganz sicher nicht verwandt. Da finden Sie bestimmt wen zum Infizieren.“

„Super, danke!“

* * *

Im Ernst, Leute, ich dachte, wir wären schon weiter. Es gibt kein einziges epidemiologisches Argument für die einseitige Privilegierung der Familie, die wir da mit so unverschämter Selbstverständlichkeit vorgesetzt bekommen. Der unsinnige Familialismus, der sich in den aktuellen „Lockerungen“ ausdrückt, ist reine Ideologie und wird zu Recht als diskriminierend kritisiert. Aber was soll’s, das Märchen vom HI-Virus, das sich von Beziehungsstatus und Ehepapieren mehr beeindrucken lässt als von realen Schutzstrategien, das wird ja auch immer noch erzählt. Weiterlesen

Fremd- und Selbstaufklärung. Zwei Gedanken zu Rassismus und Queerfeindlichkeit

Wer Augen und Ohren aufmacht, kann derzeit einiges über Rassismus lernen. Darüber bin ich sehr froh und hoffe, dass die kollektive Aufmerksamkeit nicht wieder so ein Strohfeuer bleibt. Mir wird gerade bewusster denn je, wie komplex dieses Thema ist und wie viele Lebensbereiche es durchdringt, bei denen mir das noch nicht so klar war.

Oft ertappe ich mich dabei, das Gehörte unter der Fragestellung zu filtern, welche Parallelen und welche Unterschiede es eigentlich zwischen Rassismus und Queerfeindlichkeit gibt (die erwähnte Vieldimensionalität wäre schon mal eine der Parallelen). Daraus könnte ein ganzes Buch werden, aber ich möchte mich hier auf zwei eher willkürlich ausgewählte Aspekte konzentrieren, die mir relativ aktuell auffallen und die beide mit der Frage der Aufklärungsarbeit verbunden sind. Weiterlesen

Schwule Scham

Der eigentliche Ursprung des Gay Pride ist nicht der Stolz, sondern die Scham. Als die Aktivist*innen diesen Begriff prägten, meinten sie keinen Stolz, den eine besondere Leistung rechtfertigt. Der Begriff diente vielmehr als ein psychologisches Gegengift: Der schwullesbische Stolz sollte die schwullesbische Scham heilen.

Im letzten Jahrhundert war diese psychologische Strategie noch so offensichtlich, dass man sie niemandem erklären musste; heute dagegen ist die Scham weitgehend aus unseren Diskussionen verschwunden. Das ist seltsam und schade, denn ohne dieses Wort können wir einen zentralen Aspekt unserer Situation nicht verstehen.

Weiterlesen