Gerechtigkeit ist keine Geschmacksfrage. Gegen die Bagatellisierungskultur in der Sprachdebatte.

„Alle sollten für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn bekommen. Aber wenn ein Chef den Frauen einfach weniger bezahlen möchte, ist das total okay.“

Schon mal gehört? Ich auch nicht.

„Ich persönlich verwende keine abwertenden oder beleidigenden Begriffe für marginalisierte Menschen. Aber wenn jemand das tun möchte, ist das natürlich völlig in Ordnung.“

Könnte eine Person das sagen – beispielsweise im Bundestag –, ohne dafür auf die Mütze zu bekommen? Vermutlich nicht.

Nur in der Debatte über gendergerechtere Sprache hat sich eine allgemeine Beschwichtigungskultur etabliert. So wird aktuell die Linken-Politikerin Heidi Reichinnek für eine tatsächlich hörenswerte Rede im Bundestag gefeiert. Sie greift dort auf recht Esprit-reiche und humorvolle Weise in einer Sitzung zum Thema „Gendern“ [1] die AfD an.

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Die einfache Frau an der Supermarktkasse

Das Drama um das Gendersternchen geht in die 432. Verlängerung. Die Dialoge sind jedes mal dieselben. Und in jeder neuen Vorstellung wird unvermeidlich die beliebteste Figur aus der Versenkung auf die Bühne gehoben: die einfache Frau an der Supermarktkasse. Sie ist die zuverlässige Dea ex machina, die rettend eingreifen muss, wenn der Argumentationsboden für die Dämonisierung inklusiverer Sprache rissig wird und der böse Asterisk den Anti-Gender-Recken zu Fall zu bringen droht. Das passiert oft ziemlich früh im Stück.

Ihre Rollenbeschreibung ist strikt standardisiert. Sie ist explizit eine „einfache“ Frau, und das heißt zum Beispiel: Sie ist cis und heterosexuell. Immer. Sie ist niemals akademisch gebildet. Sie kann deshalb auch nicht ansatzweise nachvollziehen, welche rein Elfenbeinturm-fantastischen Zusammenhänge es zwischen sprachlicher Inklusion, Berufswahl, gesellschaftlichem Status und Gender gap möglicherweise geben könnte. Solche Begriffe kann die doch gar nicht kennen. Sie versteht nicht mal, wie man über so etwas Seltsames überhaupt nur reden kann. Denn sie ist auch niemals feministisch geschult. Sie weiß natürlich nicht, was nicht-binäre Menschen sind, weil sie nie irgendwelche queeren Bekannten hat, geschweige denn, dass sie selbst queer sein könnte. Nein, doch nicht die Frau im Supermarkt, niemals. Das alles interessiert die nicht.

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Die fiese Diktatur der Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit

Sobald irgendwo Diversität gefördert werden soll, geht das Zensurgeschrei los. Aktuell hat die Oscar Academy entschieden, den Preis der Kategorie „Bester Film“ an eine Quotenerfüllung für bisher unterrepräsentierte Gruppen zu koppeln. Frauen, BIPoC, LGBTTIQ*, behinderte Menschen und andere Gruppen sollen in der Rollenvergabe und/oder Themenwahl und/oder im Mitarbeiter:innenstab mit einer nachgewiesenen Mindeststärke vertreten sein – sonst kann ein Film diesen Preis nicht gewinnen (die anderen Preise aber weiterhin). Und schon werden wieder die Alarmglocken geläutet: Das sei ein skandalöser Eingriff in die Kunstfreiheit, Zensur, der erste Schritt in eine ideologische Diktatur, „political correctness“-Wahn.

Was die Mehrheit der Kritiker:innen weniger bis gar nicht problematisch findet: wenn eine bisher fast ausschließlich weiße, cis-heterosexuelle und männlich dominierte Jury Preise überproportional häufig an weiße cis-heterosexuelle Männer vergibt. Das gefährdet offenbar weder die Kunstfreiheit, noch hat es irgendetwas mit zensurähnlichen Strukturen oder gar mit irgendeiner Ideologie zu tun. Weiße cis-heterosexuelle Männer spielen offenbar nun mal ganz natürlicherweise die meisten Hauptrollen, und vermutlich sind sie einfach von Natur aus die besten Schauspielenden der Welt. Weiterlesen