Selbstbildnis im Fummel (unvollendet)

Es war eine alberne Idee gewesen. Meine Schwester wusste so gut wie ich, dass der Homo-Knigge keinesfalls vorschreibt, jeder schwule Mann müsse irgendwann mal einen Fummel anziehen. Aber sie und ich waren damit beschäftigt, die lesbischen bzw. schwulen subkulturellen Reviere zu durchstreifen und dann unsere Beobachtungen zu Landkarten zusammenzufügen. Neugierige Selbsterfahrungszeiten. Warum sollte ich also nicht einmal eines ihrer Kleider anziehen? So trat ich, in diverse Grüntöne gehüllt, vor den großen Spiegel … und konnte nichts darin erkennen.

Denn ich war nicht mehr allein. Geister, Bilder und Stimmen hatten den Raum angefüllt und sich vor mein Spiegelbild geschoben.

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Zum 189. Geburtstag von Karl Heinrich Ulrichs

„Hierher zur blutigen Leiche! Zittert, ihr Verfolger! Ich, ich erstehe als euer Ankläger, ich fordre euch vors Gericht vor diesem Todten! Euch lade ich vor, die ihr die Verfolgung der Natur gepriesen habt, die ihr die Abschaffung gehindert habt, euch: Migault zu Bremen, Virchow zu Berlin, Schwarze zu Dresden. Tretet heran! Hier ist ein Todtengericht. Wen trifft die Blutschuld? Sprechet! ich fordre Rechenschaft. Es liegt ein Ermordeter hier! Gegen wen schreit sein Blut zum Himmel?“

Eine Anklage wegen „widernatürlicher Unzucht“ hatte im November 1869 den preußischen Hauptmann Frosch in den Suizid getrieben. Kein Einzelfall. Im März des Jahres hatten die hier namentlich angeprangerten Rechtsgutachter die Beibehaltung des ‚Unzuchts‘-Paragraphen verteidigt. Der Autor, der seiner rechtschaffenen Wut über diesen vermeidbaren Tod hier so eindrucksvoll die Zügel schießen ließ, ist Karl Heinrich Ulrichs: Jurist, Historiker, Anthropologe, freier Autor, Journalist, Verleger, Satiriker, Pamphletist, Dichter – und der erste Schwule der Weltgeschichte.

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